Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Händen, ganz so, als wollte sie die Sommersprossen verbergen. »Lest das Buch. Es ist im Palast.«
»Oh! Mir war nicht klar, dass die lateranische Bibliothek solche Bücher enthält.«
»Hunderte davon, ja Tausende«, rief Damiane, um gleich darauf wieder in ein vertrautes Geflüster zu verfallen. »Ich . . . ich kann es heimlich besorgen, wenn Ihr wollt. Das fällt keinem auf.«
Marocia überlegte, wieso Damiane das Buch nur auf geheimen Wegen erhalten konnte. Wenn diese Literatur in der Bibliothek stand, war es doch unsinnig . . .
»Das reicht jetzt!«, bellte eine Stimme zwischen den Zypressen hindurch. Einen Moment später stand
primicerius
Saxo vor ihr. Er war ein kleiner, dicker Mann mit Glatze, der bei Frauen fast immer den Impuls auslöste, ihn streicheln zu wollen wie einen Schoßhund. Doch sobald Saxo den Mund aufmachte, ließ dieser Wunsch merklich und für immer nach. »Seit Minuten redet ihr Weiber über einen Heiden, noch dazu einen, der die körperliche Liebe verherrlicht. Diesen lästerlichen Schmutz habe ich mir lange genug angehört.«
»Ehrwürdiger Saxo«, begann Marocia höflich. »Hättet Ihr Euch in den vergangenen Momenten nicht hinter einem Baum versteckt, würde mein privates Gespräch mit meiner Zofe Euch jetzt nicht belasten.«
»Wie kannst du es wagen!«, schrie er und gestikulierte wild mit den Händen. »Ich bin vielleicht nicht imstande, dein ungebührliches Geschwätz zu verhindern, aber ich sorge dafür, dass du nicht ein einziges Buch zu Gesicht bekommst, solange du hier lebst. Und glaube bloß nicht, dass du mich mit deinen weiblichen Reizen becircen kannst.«
Marocia stieg die Zornesröte ins Gesicht. »Ich hatte bestimmt nicht vor, das Buch auf diese Weise zu beschaffen«, zischte sie. »Ich werde es mir einfach holen.«
Saxo kicherte boshaft. »Ja, weißt du es denn nicht? Seit Erbauung des Lateran vor sechshundert Jahren hat keine Frau die lateranische Bibliothek betreten dürfen, nicht einmal die heilige Helena, geschweige denn die Weiber deiner . . . deiner Passion.«
Das mochte stimmen. Marocia erinnerte sich, was Damiane ihr über die lateranischen Huren vergangener Jahrzehnte berichtet hatte. Leo III. hatte sich offenbar einen ganzen Schwarm hübscher junger Konkubinen gehalten, die wie Nymphen durch den Lateran huschten, wogegen Stephan VI., den Marocia als Kind auf der Leichensynode gesehen und später erschlagen aufgefunden hatte, sehr reifen, um nicht zu sagen alten Frauen stets den Vorzug gab. Aber all diesen Frauen, ob jung oder alt, schön oder liederlich, war ihr Desinteresse an politischer Einwirkung, ihre absolute Machtlosigkeit und ihre Rolle als lächerliche Fußnote in der Geschichte des Lateran gemeinsam. Alles das wusste Saxo natürlich auch, und er gedachte wohl, diese Tradition penibel aufrecht zu halten.
Marocia erhob sich. »Ich glaube«, sagte sie jetzt ganz ruhig zu Saxo, »ich bekomme plötzlich Lust zu lesen.« Dann verbeugte sie sich gemessen und schritt mit erhobenem Kopf davon. So sehr dieser geifernde Mönch sie in Rage gebracht haben mochte, sie verdankte ihm jenes konkrete Vorhaben, das sie in ihrer Orientierungslosigkeit seit ihrer Ankunft im Lateran vergeblich gesucht hatte: Sie nahm sich vor, eine Stellung einzunehmen, wie sie noch keine andere Frau in diesem Palast je innegehabt hatte.
Am Morgen nach dem Streit mit Saxo kleidete Marocia sich sorgfältiger als gewöhnlich. Sie wählte ein für die Jahreszeit viel zu luftiges Kleid aus zitronengelber Seide, das wie ein Sonnenstrahl auf ihrer von Natur aus hellbraunen Haut leuchtete. Ihr Plan war ebenso gewagt wie dieses Kleid, aber sie dachte keinen Moment daran, ihn aufzugeben. Es wäre Marocia ein Leichtes gewesen, den Papst während des gemeinsamen Mittag- oder Abendessens um einen Gefallen zu bitten. Doch sie wählte für ihre erste unangemeldete Aufwartung bei Sergius einen Augenblick größter Öffentlichkeit.
Der päpstliche Thronsaal war voll von Menschen, als Marocia eintrat. Eine Zusammenkunft der stadtrömischen Diakone, Äbte und ihrer Schreiber belegte den gesamten rechten Teil des Saales, die der entsprechenden Vertreter des übrigen Patrimoniums den linken Teil. Auf dem Thron, in vollem Ornat, saß Sergius und richtete einige Worte an die Versammelten. Mit seinen spärlichen grauen Haaren und dem steifen, feierlich durchgebogenen Rücken sah er würdevoll aus, ja, es schien, als sei dieser Thron sein natürlicher Aufenthaltsort. Da alle Augen auf ihn gerichtet
Weitere Kostenlose Bücher