Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
warf lange Schatten. Plötzlich sah Marocia eine plumpe Gestalt über den Friedhof schleichen. An den Gewändern erkannte sie sofort, dass es die Dienerin Constanzas war. Marocia reckte ihren Kopf ein Stück weit vor, um nicht vom Licht der Kerzen im Raum geblendet zu werden. Tatsächlich! An einem der Gräber kniete die Gestalt nieder. Aber grub sie? Marocia konnte es nicht sehen. Sie kniff die Augen zusammen . . .
»Was ist da draußen?«, fragte Alberic und stellte sich zu ihr.
»N-nichts«, antwortete Marocia und versuchte schnell noch, sich die Stelle einzuprägen, bevor Alberic den Laden schloss. Sie wollte der Sache auf den Grund gehen.
Er zog die Mundwinkel nach unten. »Vermutlich ein Soldat, der Euch gefällt, wie? Und Ihr wollt Euch als Herzogin präsentieren! Unfassbar! Ihr habt mich verstanden! Ihr bleibt hier!«
»Ja«, erwiderte sie spitz. »Ich habe verstanden.« Mit Betteln oder Argumentieren war bei Alberic nicht weiterzukommen. Er hatte seine vorgefasste Meinung, und es war möglich, sogar wahrscheinlich, dass Desiderius diese sogar noch bestärkte. Ihm konnte ja auch nicht daran gelegen sein, dass jemand seine dominierende Stellung bei Alberic in Gefahr brachte. Doch genau das rief wieder dieses Gefühl in ihr hervor, das sie von Kindheit an kannte: Nichts ist unmöglich, für niemanden. Ihr würde schon noch etwas einfallen.
Der lange Schatten des Turmes hatte den Friedhof in vollständige Dunkelheit getaucht, als Marocia noch in der gleichen Nacht dem Geheimnis der Dienerin nachging. Sie trug eine kleine Kerze vor sich her, deren Flamme sie mit der anderen Hand vor den überraschenden Luftzügen beschützen musste. Vorsichtig wie ein Wiesel schlich sie an den Wänden des Mausoleums entlang. Eine Wache kam ihr entgegen, und es gelang ihr eben noch rechtzeitig, in die Krypta zu huschen. Doch die beiden Männer schienen dennoch etwas bemerkt zu haben, denn sie gingen ebenfalls einige Schritte in das kalte Gemäuer hinein und hielten ihre Fackeln hoch. »Ist da jemand?«
Marocia verbarg sich hinter einem der Sarkophage und hielt den Atem an. Wenn sie die Kerze auspusten würde, könnte der aufsteigende Rauch sie verraten, fiel ihr ein, und sie nahm in Kauf, dass das sanfte Licht sie in Gefahr brachte.
»Komm, lass uns gehen«, sagte der andere hörbar erleichtert, auf keinen Geist getroffen zu sein.
Marocia atmete durch. Jetzt erst, als sie die Kerze an den Sarkophag hielt, erkannte sie, dass sie die ganze Zeit hinter den Gebeinen von Ageltrudis Schutz gefunden hatte. Da hat die unheimliche Frau mir einmal etwas Gutes getan, grinste Marocia und machte sich wieder auf den Weg.
Diesmal ging sie auf der anderen Seite um die Krypta herum und betrat den Friedhof. Irgendwo hier musste ein Ginsterstrauch sein, die Markierung, die sie sich gemerkt hatte . . . Sie fand ihn schnell, denn seine kleinen gelben Blüten leuchteten sogar in der Nacht. In diese Reihe musste sie also gehen.
Die Gräber der
laboratores
und
servates
waren in einem schlechten Zustand. Kein Wunder, denn wenn die Eheleute aus der Arbeiter- und Dienerschaft erst einmal beide verstorben waren, kümmerte sich niemand mehr darum. Ihre Kinder wurden meist nicht vom Herrn behalten, sondern mussten in die Ferne ziehen und erfuhren – wenn überhaupt – erst viele Jahre oder Jahrzehnte später, dass ihre Mütter und Väter tot waren. Umgekehrt natürlich ebenso. Unkraut wucherte über die Steine oder Hölzer, und einige Male wäre Marocia sogar fast in die Vertiefungen gefallen, die manche Gräber aufwiesen. War hier tatsächlich von Hexen gegraben worden, oder hatte sich nur der Fuchs daran zu schaffen gemacht?
Sie war an dem Grab angekommen, das sie sich eingeprägt hatte. Es war etwas besser gepflegt als die anderen, denn kein Unkraut, sondern schlichtes Grün wuchs darüber. In letzter Zeit war hier nicht gegraben worden, stellte Marocia erleichtert fest. Sie beugte sich nach vorne und gab das Licht der Kerze frei. Ein Holzkreuz, dunkel, feucht und alt, hatte seine eigentliche Aufgabe bereits eingebüßt, nämlich den Lebenden Kunde vom Toten zu geben. Die eingekerbte Inschrift war verwittert, und Marocia konnte nur noch den ersten Buchstaben eindeutig erkennen, ein »R«.
Sie spielte mit Bedeutungen, die nun dutzendfach auf sie einströmten: »
Regens
?«, flüsterte sie. War hier ein zeitweiliger Regent begraben worden, von dem niemand mehr etwas wissen wollte? »
Regina
?« Nein, eine Königin wohl nicht. »
Rusticus
?«
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