Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
sie zurückhielt. Wie ein prall gefüllter Blasebalg schien die Zofe nur noch darauf zu warten, gepikt zu werden, um alles in einem großen Schwall über Marocia ergießen zu können. In der Vergangenheit hatte Marocia dieses »Piken« schon so manches Mal mit einem verschwätzten Nachmittag und klingenden Ohren bezahlt, heute jedoch nahm sie das in Kauf. Sie musste alles über die beiden Frauen erfahren.
»So weit, so gut. Aber nun sag schon, da wird noch mehr gesprochen, nicht?«
Damiane leckte sich die Lippen und legte so viel Geheimnis in ihre Stimme, dass es fast schon komödiantisch wirkte. »Man erzählt sich, die alte Herzogsmutter braut stinkende Tränke in ihrem Turm und bringt damit Verfall und Tod über die Menschen. Aus dem Fenster steigen häufig heiße Dämpfe und ein furchtbarer Geruch. Und die unheimliche Dienerin geht nachts auf den Friedhof der einfachen Leute und gräbt dort Gebeine aus, um sie zu zermahlen und der Hexe zu bringen.«
Das alles klang Marocia zu lächerlich, um es zu glauben, doch die Einbildungen der Spoletaner wunderten sie schon lange nicht mehr. Was sollte man denn schon anderes von Leuten erwarten, die den Neumond anriefen und ihm Mut zusprachen, damit er die Kraft fände, seinen vollen Glanz wiederzugewinnen? Und die Burgbesatzung warf regelmäßig Brote unter erbärmlichem Schreien auf den Zugangsweg, um damit unsichtbare Feinde fern zu halten. Selbst Alberic glaubte an solche Beschwörungen, warum sonst hatte er sich der hiesigen Tradition gemäß am ersten Januar mitten auf einem nahe gelegenen Kreuzweg auf eine Ochsenhaut niedergelassen und die ganze Nacht dort betend verbracht? Das alles war grotesk.
Aber immerhin: Auch Marocia hatte schon die Dämpfe und Gerüche bemerkt, die manchmal über der Burg hingen. Sie musste einräumen, dass einige Vorgänge in diesem Turm ungewöhnlich waren. Oder wurde sie schon langsam wie alle anderen hier? Waren ihre Verdächtigungen bereits erste Auswirkungen des allgegenwärtigen Aberglaubens, dem sie hier in der Provinz ausgesetzt war?
Jeder hier schien Angst vor Constanza zu haben, und gerade darum musste Marocia ihre eigene Angst überwinden.
Im späten Frühjahr kündigte Alberic an, dass er gemeinsam mit Desiderius eine Reise quer durch das Herzogtum unternehmen werde. Es war seine erste, und Marocia vermutete, dass der Bischof ihn dazu überredet hatte. Desiderius schien also rasch an Einfluss bei Hofe zu gewinnen. Sei’s drum, für Marocia war das die Gelegenheit, der Enge der Burg zu entkommen und das Land kennen zu lernen. Sie suchte Alberic am späten Abend noch in seinem Gemach auf, um ihre Bitte vorzutragen.
Der Raum war kälter und schlechter gelegen als ihrer, an der Nordseite der Burg. Von hier sah man nicht über das spoletanische Land, sondern auf eine hohe Wehrmauer, die kleine Kapelle, die frei stehende Krypta der herzoglichen Familien und den benachbarten Friedhof, auf dem die Burgbesatzungen und Diener ihre letzte Ruhe fanden. Wahrlich keine erhebende Aussicht.
»Mich begleiten?«, brummte er. »Zu welchem Zweck?«
»Zu dem Zweck, dass das Land seine Herrin kennen lernt, und umgekehrt.«
»Das fehlte noch«, gab er zurück und sah sie mit einem Widerwillen an, der mehr sagte als alle Worte. »Ihr seid keine Herrin, von niemandem, und Ihr werdet auch niemals eine sein. Hierzulande ist es unüblich, dass . . .«
»Hierzulande, hierzulande«, unterbrach sie ihn. »Das ist doch nur ein Vorwand, um mich hinter Mauern zu verbergen. Hört zu! Ihr habt mich zur Gemahlin genommen, aus freien Stücken. Wenn Ihr mit meinem Ruf ein Problem habt, ist es nicht meine Schuld. Je eher Ihr Euch mit mir abfindet, desto besser für uns beide.«
Er blickte so verwirrt wie damals, als sie ihn zum Tanz gebeten hatte, doch schon im nächsten Moment ging er zwei Schritte auf sie zu, als wolle er sie packen oder schlagen. Marocia beeindruckte das nicht. Sie wusste, dass Alberic dazu weder die äußere noch die innere Kraft besaß. Er würde ihr nie etwas Körperliches antun. Wohl aber besaß er formale Macht über sie, und sich darauf zu berufen war einfach und billig. »Ihr werdet mich nicht begleiten!«, donnerte er. »Das ist mein letztes Wort.«
Sie wandte ihm den Rücken zu, entfernte sich ein Stück und lehnte sich an das kalte Mauerwerk neben dem Fenster. Die Nacht war licht. Die Beschwörungen der Leute schienen wie immer erfolgreich gewesen zu sein, denn ein voller Mond strahlte schräg auf die Mauern und Türme und
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