Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Pinienholz Spoletos geschnitzt waren. Überall auf dem Boden waren die Buchstaben verteilt. Jetzt stellte der Kleine die Namen von allen Menschen zusammen, die er kannte.
»Sieh mal«, flüsterte Marocia und neigte sich ihrer Zofe zu. »Er hat ‹Sergius Pater› geschrieben.«
»Das ist nicht verwunderlich«, erwiderte Damiane im gleichen Flüsterton. »Ihr habt ihm doch gesagt, dass Sergius sein Vater ist, nicht Herzog Alberic.«
»Ja, schon«, lächelte Marocia. »Aber das Wort bedeutet ebenso ‹Papst Sergius›. Diese Wortspielerei ist für einen Knaben seines Alters bemerkenswert, findest du nicht?«
Inzwischen hatte Clemens einen weiteren Namen zusammengestellt und baute ihn Holz für Holz vor den beiden Frauen auf. Marocia verzog den Mund zu einem künstlichen Grinsen. Sie lobte ihren Sohn und animierte ihn, den nächsten Namen zu formen.
»Grrr«, knurrte sie Damiane zu, nachdem Clemens außer Hörweite war. Vor ihr prangte jene Kombination aus zehn Buchstaben, die sie von allen am wenigsten mochte: Desiderius. »Immer wenn ich diesen Namen höre – oder sehe –, muss ich an die gesichtslosen Holzpuppen denken, die von den Bauern zum Jahreswechsel verbrannt werden, um die Dämonen zu verjagen.«
Damiane nickte ernst und murmelte, kaum hörbar: »Und ich muss an einen Wolf denken.«
»Obwohl ich mich in letzter Zeit nicht beschweren kann«, gab Marocia zu. »Er scheint zahm geworden zu sein, wie Alberic.«
»Oh, darauf würde ich mich nicht verlassen bei einem Mann wie ihm.«
Marocia stützte ihr Kinn auf die Fingerspitzen und blickte Damiane versonnen an. Schon häufiger war ihr aufgefallen, dass ihre Dienerin und Vertraute noch schlechter auf Desiderius zu sprechen war als sie selbst. Dabei hatte sie doch im Grunde nichts mit ihm zu tun. In solchen Momenten kam Marocia in den Sinn, wie viel Damiane zwar von ihr wusste, aber wie wenig sie von Damiane. Gewiss, Damiane erzählte viel von ihrer Heimat und plauderte jedes Gerücht aus, sobald es das Licht der Welt erblickte. Aber wirklich Persönliches . . .
»Sehnst du dich nie nach einer Ehe?«, fragte sie ihre Dienerin. »Und einem Kind?«
Damianes Sommersprossen hatten noch nie zuvor derart geglüht wie jetzt. Sie suchte nach Worten, aber der Schreck ließ sie keine finden.
»Verzeih«, nahm Marocia sich zurück. »Ich wollte dich nicht verlegen machen. Es ist nur . . . Brauchst du häufiger einen freien Tag, Damiane? Ich will nicht schuld daran sein, dass du ohne . . .«
Vom Hof drang plötzlich ein aufgeregtes Stöhnen und Zischeln herein. Marocia ging zum Fenster. Die Dienerin ihrer Schwiegermutter war gestrauchelt und lag auf dem Pflaster. Um sie herum, in achtbarer Entfernung von einigen Schritten, bildete sich ein Kreis von Waffenträgern, Knechten und Köchinnen, die alle durcheinander schwatzten. Keiner half der sich windenden Frau.
Marocia dachte nicht lange nach. Sie stürmte aus dem Raum, die Gänge entlang und Treppenhäuser hinunter ins Freie. »Warum helft ihr der Frau nicht? Seht ihr nicht, dass sie verletzt ist?«
Das Gesinde scherte sich nicht um die Worte der Herzogin. »Sie ist eine Teufelsbraut«, riefen die einen. »Es bringt Unglück, sie zu berühren«, die anderen.
Marocia wollte der behäbigen Frau auf die Beine helfen, doch sie wehrte ab. »Seht Ihr, Durchlaucht«, riefen die Leute. »Sie will es ja selbst nicht.«
Doch diesmal wollte Marocia sich nicht abhalten lassen. Beherzt griff sie der Dienerin unter die Arme, um ihr aufzuhelfen, doch ein schrecklicher, klagender Laut, ein Schrei voll Schmerz und Leid erschreckte sie. »Sie ist verletzt. Holt den Medicus. Rasch.«
Einer von den Knechten löste sich aus der Gruppe und verschwand im Innern der Burg.
»Nein!«, rief die Dienerin, und alle zuckten zusammen. Es war der erste Laut, den sie je von ihr gehört hatten. Auch Marocia erschrak. Sie kannte die Stimme. War es denn möglich, dass . . . Nein, sie musste, sie wollte sich irren.
Zitternd griff sie nach dem Gesichtsschleier. »Marocia«, wimmerte die Frau. »Nein, Mädchen, nicht.«
Marocia lüftete das schwarze, fein gesponnene Tuch, und im gleichen Augenblick ruckte sie zurück und fiel nach hinten auf ihr Gesäß. Ihr stockte der Atem. Die Frau war entstellt wie eines der fauligen Grabhölzer auf dem Friedhof. Narben, Beulen und Risse überzogen das gesamte Gesicht. Stirn und Kinn sahen wie aufgegraben aus; an den Wangen hingen Hautlappen, und ein Auge war verdeckt, einfach überwachsen. Doch am Blick
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