Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
her und versuchte vergeblich, mit seinem schlanken und behänden Vorgesetzten Schritt zu halten.
Sie hatten
Sanctus Paulus
umrundet und betraten nun den Markt. Hunderte von Menschen wimmelten um die zwanzig bis dreißig Stände herum, auf denen die Sommerernte des Jahres 914 feilgeboten wurde: An Gemüse gab es hauptsächlich Blumenkohl, Rosenkohl, Bohnen, Gurken und Rüben, dazu Äpfel, Birnen und Pfirsiche. In Holzkäfigen gackerten fette Hühner und Gänse aufgeregt um die Wette, und für die reichen Bürger wurden wild flatternde Wachteln bereitgehalten, die den zahlreichen Fallenstellern der Gegend in die Netze gegangen waren.
Wo immer Desiderius vorbeiging, verneigten sich die Menschen, und wenn ihn auch kaum einer freundlich anlächelte, so schenkten ihm doch einige der Händler etwas von ihren Waren. Einer hielt ihm eine tiefrote Frucht vor Augen, die er noch nie gesehen hatte. »Man nennt es Paprika«, klärte der Kaufmann ihn auf. »Es kommt aus dem Osten und wird gesotten oder gedämpft.«
Desiderius bedankte sich mit einem äußerst knappen Kopfnicken und übergab die Frucht Gratian, der sie zusammen mit den überreichten Pfirsichen in seiner hoch geschürzten Kutte vor sich hertrug.
»Was für eine Situation?«, fragte Gratian beharrlich, mitten im Gewimmel des Marktes.
»Das wirst du dann schon sehen. Sag mir lieber, wie wir die Zügellose zügeln sollen.«
Gratian machte einen schiefen Mund. »Ich hätte da schon eine Idee, nur . . .«
»Was nur?«
»Sie ist niederträchtig.«
»Das sind die besten Ideen.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht etwas zu weit geht.«
»Und ich«, flüsterte Desiderius und trat einen Schritt auf Gratian zu, »bin mir nicht sicher, ob dein neues Amt dich nicht vielleicht etwas überfordert.«
Ein Störenfried verschaffte Gratian eine willkommene Denkpause. Es war ein alter Bauer, der an Desiderius herantrat. In der Hand hielt er ein Huhn kopfüber an den Füßen. »Für die heilige Kirche«, sagte er heiser. »Wenn Ihr doch bitte mein seliges Weib in Eure Gebete einschließen wollt, bischöfliche Gnaden. Ihr Name ist . . .«
Desiderius nahm das Huhn und schubste den Alten zur Seite. »Später.« Dann starrte er Gratian an. »Also?«
Gratian zögerte. »Ihr kommt sicher auch von selbst darauf.«
»Ich will aber nicht von selbst darauf kommen. Ich will, dass du mir diese Idee nennst. Das ist wohl nicht zu viel verlangt für«– er deutete mit einem Arm zur Kirche –»ein einträgliches Amt und«– er deutete mit dem anderen Arm auf das Obst in Gratians Kutte –»für alle anderen Annehmlichkeiten, die dieses Amt mit sich bringt.«
Gratian schluckte. Zweifel und Schwermut lagen in seiner Stimme, als er sagte: »Marocia ist nicht nur Herzogin und Gemahlin, sie ist auch . . .«
Neuerlich schluckte er.
»Was? Was ist sie? Mach endlich den Mund auf.«
»Mutter«, spie Gratian aus.
Desiderius blickte ihn wie ein folgsames Kind an und nickte. »Nicht schlecht, mein junger Diakon, nicht schlecht. Wenn du weiter so schnell lernst, steht dir noch eine großartige Zukunft bevor.«
18
Im Herbst war das spoletanische Land wie von Rost überzogen. Die Blätter der Reben färbten sich, ein sicheres Zeichen dafür, dass bald die Ernte beginnen konnte. Marocia freute sich schon auf den tiefdunklen Wein der Landschaft. Er war zwar schwer und führte schnell zu Schwindel, aber erhitzt und mit Lorbeer gewürzt war er in den kalten Zeiten Marocias Lieblingsgetränk.
Allenthalben zogen nun Tagelöhner durch das Land, um den Bauern zu helfen. Doch die wenigsten Pächter konnten sich so etwas leisten, denn nach Abzug der vorgeschriebenen Steuermengen für den Grundherrn, für das Kloster und den herzoglichen Hof blieb ihnen weniger als ein Drittel aller Fässer. Nicht wenige ernteten deshalb einen Teil der Trauben nachts, um sie unbemerkt beiseite zu schaffen.
Marocia, die es liebte, zur frühesten Stunde durch Halbdunkel und herbstlichen Nebel zu reiten, erkannte schnell, wer von den Bauern schummelte. Bei einem der kleineren Weinberge gingen gleich mehrere Köpfe in Deckung, als sie daran vorbeireiten wollte. Sie brachte ihr Pferd aus dem Galopp zum Stehen und stieg ab. Dann kostete sie eine der blauroten Rebenfrüchte und rief: »Du da! He! Ja, du.«
Der Älteste aus der Gruppe erhob sich aus seiner Hocke und näherte sich ihr mit gezücktem Strohhut. Seine Kleidung war voller Flicken und doch halb zerrissen. Schuhe hatte er überhaupt keine an; seine Füße
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