Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Mal ballte sie die Faust und hämmerte sie monoton gegen ihre Stirn, so dass man glauben konnte, sie wäre zu allem fähig, dann löste sie sie wieder, rieb sich die Augen und lehnte sich müde gegen die Wand. Dort sank sie langsam zu Boden, umarmt von Clemens.
Damiane kniete im Offertorium des Benediktinerklosters von Chieti, die Stirn gegen ihre gefalteten Hände gelehnt. Die Bänke des Betsaals waren leer, die Wände mit Ausnahme eines riesenhaften Holzkreuzes kahl und weiß. Gestern Abend noch war der Raum von vielstimmigen Adventschorälen erfüllt worden, aber nun herrschte eine fast vollkommene Stille. Von draußen drangen einige dumpfe, kaum verständliche Unterhaltungen von vorbeilaufenden Mönchen herein, aber sie störten Damianes Versunkenheit nicht. Obwohl sie ein verständliches Latein sprach, betete sie in ihrer germanischen Kindheitssprache. Mal redete sie laut, mal flüsterte sie, mal formten sich tonlose Worte auf ihren Lippen oder erklangen nur in ihrem Innern.
Wohin, fragte sie Gott, sollte das alles noch führen? Sie hatte Angst. Mit jedem Monat verfing Gratian sich mehr in dem Netz, das Desiderius gespannt hatte. Ihr Liebster sah das anders, sprach von großen Möglichkeiten, von Reichtum, Ansehen, sogar Macht. Wann vorher hatte er jemals von Macht gesprochen! »Und ich?«, fragte sie daraufhin. »Wo ist mein Platz in dieser wunderbaren Zukunft?«
»Na, bei mir«, sagte er. »An meiner Seite. Das ist doch heutzutage kein Problem mehr. Viele Prälaten haben eine Geliebte. Deine eigene Herrin kann ein Liedchen davon singen.«
»Ja, sie kann ein Liedchen von Leid und ständigem Kampf singen. Und du trägst dazu bei.«
»Moment mal . . .«
»Nichts Moment mal. Du und dein neues Vorbild, der Seelenfänger, ihr tretet und schikaniert sie.«
»Das hat doch nichts mit uns beiden zu tun. Ich mag nicht, wie du das eine mit dem anderen vermischst. Und nenne ihn nicht Seelenfänger.«
So redeten sie häufig in letzter Zeit aneinander vorbei, aber am Ende gab sie immer nach, versprach, noch eine Weile zu warten, bis er dies erreicht hatte, bis er so viel verdient hatte, bis er jenes Amt innehatte. Doch sie litt. Der tägliche Verrat hielt sie in den Nächten lange wach. Sie sah das fehlgeborene Kind in ihren Träumen, den falsch beschuldigten
primicerius
Saxo, und seit einigen Wochen nun Clemens . . . Es war Gratians Idee gewesen. Schrecklich!
In den letzten Wochen hatte sie Marocia und Clemens miteinander reden, spielen und lachen sehen, hatte beobachtet, wie sich der nahende Abschied von ihrem Sohn immerzu in Marocias Augen spiegelte, sobald der nichts ahnende Kleine sich einmal umdrehte.
Welchen Treuebruch an Marocia würde der wölfische Bischof als Nächstes von ihr und Gratian verlangen? Wohin – und damit gelangte Damiane wieder an den Anfang des Problems, das sich wie eine Schlinge um sie wand – sollte das alles noch führen?
Das Geräusch, das Damiane aufschreckte, kam nicht von Gott, wie sie gehofft hatte, sondern von Marocia. Auf Zehenspitzen wollte sie sich nach draußen schleichen.
»Entschuldige«, sagte sie. »Ich habe zu spät bemerkt, dass du betest.«
Damiane spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen. Sie stand auf, Marocia kam näher. Blickten die schwarzen Augen ihrer Herrin und Freundin anders als sonst, oder bildete sie sich das bloß ein? Unmittelbar vor ihr blieb Marocia stehen. Sie schwiegen beide. Ihr warmer Atem vermischte sich sichtbar in der kalten Luft des Offertoriums.
»Belastet dich etwas?«, fragte Marocia.
Damiane bewegte sich nicht. Sogar ihre Augen blieben starr auf ihr Gegenüber gerichtet.
»Du weißt, dass du mit mir über alles sprechen kannst, nicht wahr?«, fragte Marocia.
Klang auch ihre Stimme anders? Wissender? Forschender? Drohender?
»Wir sind Freundinnen, Damiane. Wenn wir uns gegenseitig nicht vertrauen können, wem sonst? Aber ich will dich nicht drängen. Ich kann verstehen, wenn du . . .«
»Nein«, sagte Damiane. »Nein, Ihr habt Recht. Wenn ich es jetzt nicht sage, dann vielleicht nie mehr.« Sie blickte um sich und suchte einen Platz. Eine der lang gezogenen Betbänke, die in Reihen an den Seitenwänden aufgestellt waren, stand am nächsten, und so schritten sie nebeneinander dorthin und setzten sich. Wieder kehrte die Stille ein, die diesem Saal eigen war. Damiane blickte nicht ihre Herrin an, sondern das Kreuz mit dem leidenden Christus. Er hörte mit. Er würde ihr die Kraft geben können, die sie brauchte, um sich und vor
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