Die Herrin der Pyramiden
will kein General werden!«, scherzte ich. »Aber Priesterin könnte ich doch werden. Wo ist die nächstgelegene Tempelschule?«
»In Abodu wird für den Osiris- und Isis-Kult ausgebildet, in Mempi kannst du Priesterin des Ptah werden.«
»Wann kann ich in die Tempelschule eintreten?«
»Wenn du zwölf Jahre alt bist.«
»Das sind ja noch zwei Jahre!«, sagte ich bestürzt.
»Hast du es so eilig, von hier wegzukommen?«
»Ich kann es kaum noch erwarten! Liegt Mempi weit entfernt von Iunu?«
»Es ist nicht weit. Wir könnten uns besuchen.«
Der Abschied von Aperire fiel mir schwer. Ich begleitete ihn zu seinem Schiff und sah zu, wie es ablegte. Ich lief neben der Barke her und winkte ihm zu. Er stand am Bug, sah zu mir herüber und winkte zurück. Doch als die Pyramide hinter einer Biegung des Hapi verschwunden war, richtete er seinen Blick nach vorn, der Zukunft entgegen. Und ich fragte mich: Wovor fürchtete er sich?
Zwei Tage später schrieb ich heimlich einen Brief an die Verwaltung des Ptah-Tempels in Mempi und bewarb mich um die Aufnahme an der Tempelschule.
Dann verschloss ich den Brief und drückte das Siegel des Königlichen Bauleiters in das weiche Honigwachs. Ich ging hinunter zum Hafen und suchte eine Barke, die stromabwärts segeln würde.
»Bitte gib diesen Brief im Tempel des Ptah in Mempi ab!«, bat ich einen Kapitän.
Jeden Morgen ging ich zum Hafen hinunter, um zu sehen, ob ein Schiff aus Mempi mit einem Brief für mich angekommen war. Nach vier Monden traf die ersehnte Antwort ein.
Ungeduldig riss ich das Siegel ab und entfaltete den Papyrus:
»Sethi, Priester des Ptah, an Nefrit von Tis, Tochter des Kamose. Ich bedaure sehr, dass der Tempel dich erst im zehnten Regierungsjahr des Königs Seneferu ausbilden kann. Das liegt nicht an deinen Kenntnissen und Fähigkeiten, sondern daran, dass der Tempel jedes Jahr nur hundertzwanzig Schüler aufnehmen kann. Es liegen fast vierhundert Anmeldungen vor, die zuvor berücksichtigt werden müssen. Ich habe dich für das zehnte Jahr in die Liste der Auszubildenden aufgenommen. Gruß, Sethi, Priester des Ptah.«
Ich saß am Ufer des Hapi und konnte mich nicht rühren. Noch vier Jahre! Zwei Jahre waren mir schon wie die Ewigkeit vorgekommen, aber doppelt so lange warten? Ich war verzweifelt und brach in Tränen aus.
Mein Vater bemerkte meine roten Augen nicht, als ich nach Hause kam. Den Brief versteckte ich monatelang unter meinem Bett.
»In den Tempel? Was willst du dort, Nefrit?«, fragte mein Vater mich fast zwei Jahre später beim gemeinsamen Abendessen zwischen Bauplänen, Tintenfässern und Winkelmessern.
»Ich will Priesterin werden«, antwortete ich und reichte ihm eine Papyrusrolle, die er während des Essens betrachtete. In diesem Jahr hatten wir so viele Steinbrucharbeiter, dass nicht alle gleichzeitig in den Steinbrüchen arbeiten konnten. Einige mussten zeitweise Steinschlitten ziehen.
»Das würde bedeuten, dass du in die Tempelschule gehen wirst«, vermutete er ohne aufzusehen. Die Organisation der Steinbrüche schien interessanter zu sein als meine Zukunft.
»In Mempi gibt es eine sehr gute Tempelschule. Ich will dort lernen.«
»Mhm.«
»Vater, hörst du mir überhaupt zu?«
Endlich blickte er auf. »Nefrit, du kannst bereits lesen und schreiben, du kannst exakte Bauzeichnungen anfertigen und die Stabilität einer Pyramide berechnen. Ich beteilige dich an organisatorischen Entscheidungen auf der Baustelle, und du nimmst mittlerweile an den Besprechungen mit den verantwortlichen Bauleitern teil. Was, bei Imhotep, willst du in der Tempelschule?«
»Ich will die Tempelriten erlernen, Mathematik und Philosophie, Kunst und Geschichte. Ich will Sistrum und Harfe spielen lernen und Tanzen. Ja, ich würde gern Tanzen lernen.«
»Das brauchst du alles auf der Baustelle nicht, Nefrit.«
»Ich will nicht mehr auf der Baustelle leben, Vater. Dies ist nicht mein Leben. Ich will ein anderes Leben leben. Mein
eigenes
Leben.«
»Dein eigenes Leben?«
»Vater, ich bin fast zwölf Jahre alt und will nicht mehr der Schatten des Kamose sein. Ich bin Nefrit.«
»Die Ausbildung kostet Gold.«
»Ich weiß, wie viel du verdienst, und ich weiß, wie viel wir gespart haben. Der Königliche Bauleiter Kamose zahlt seiner Gehilfin ein bescheidenes Gehalt von einem halben Kupfer-Deben.«
»Ich kann dich nicht allein nach Mempi lassen.«
»Das ist kein Argument«, begehrte ich auf.
»Es ist das beste, das ich habe: Ich verbiete
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