Die Herrin der Pyramiden
wieder eingeholt. Unsere Wagen wurden beinahe aus der Kurve getragen, doch gerade noch rechtzeitig nahmen wir beide gleichzeitig die Abzweigung der Straße zur Baustelle.
Wenige Ellen vor ihm erreichte ich das Zelt des Bauleiters und sprang vom durch den Sand schlitternden Wagen. Der Diener meines Vaters ergriff die Zügel und führte die schwitzenden und schnaubenden Tiere zur Seite. Dann drehte ich mich um und erwartete den jungen Mann, dessen Pferde direkt vor mir zum Stehen kamen.
Als er abstieg, ging ich auf ihn zu und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. »Was hast du dir dabei gedacht, mich von der Straße zu drängen? Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«
Ich erwartete nicht wirklich eine Antwort auf diese Frage, die er mir aber trotzdem gab. »Ich bin Prinz Sarenput, der Sohn von Prinz Nefermaat und Neffe des Königs.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Stattdessen starrte ich ihn an.
Sarenput entstammte einer alten Königsfamilie, die seit Generationen regiert hatte. Sein Gesicht war das der Lebendigen Götter auf den Palastfassaden und Tempelpylonen, und doch wäre niemand auf die Idee gekommen, ihn als namenlosen Herrscher zu bezeichnen. Sein Gesicht hätte Imhotep als Vorlage für die Definition des klassischen Profils dienen können. Und da war noch etwas anderes, das ich nicht sehen konnte. Etwas, das ich nur spüren konnte. Etwas, von dem ich erregt wurde.
»Hat es dir die Sprache verschlagen, Nefrit? Knie nieder und begrüße mich!«
In dem Augenblick, als ich vor ihm in die Knie sank und meine Nase in den Sand drückte, begann ich ihn zu hassen. »Sei gegrüßt, Prinz Sarenput, Sohn des Wesirs, Neffe des Königs.«
»Machst du dich über mich lustig?«, fragte er vorsichtig.
»Nein, mein Prinz.«
»Du hättest dir viel Ärger ersparen können, wenn du mich freiwillig mit zur Baustelle genommen hättest.«
»Ich wusste nicht, wer du bist.« Das war die einzige Ausrede, die mir spontan einfiel. Ich erhob mich, ohne auf ein Zeichen von ihm gewartet zu haben.
»Wenn du gewusst hättest, dass ich Prinz Sarenput bin, hättest du mich mitgenommen?«
»Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Weil auch der Neffe des Königs die Baustelle nicht betreten darf ohne Genehmigung des Bauleiters.«
Er übergab die Zügel seiner Pferde dem Diener, der mein Gespann bereits ausgeschirrt hatte. »Du darfst sie doch auch betreten.«
»Ich bin die Tochter des Bauleiters und seine rechte Hand.«
»Soll das heißen, dass du hier auf der Baustelle die Befehle erteilst und ich zu gehorchen habe, der Sohn des Wesirs?«
»Das hast du richtig verstanden, Prinz Sarenput.« Ich hielt seinem Blick stand.
»Du kannst dir sicher vorstellen, dass ich mich bei meinem Vater über dich beschweren werde.«
»Tu, was du für richtig hältst!«, forderte ich ihn heraus.
Er wagte einen neuen Vorstoß, nachdem die Fronten sich geklärt hatten. »Ich bitte dich um eine Führung über die Baustelle. Eine Bitte von Kollege zu Kollege.«
»Du
bittest
mich, Prinz Sarenput?«
»Ich studiere wie du bei Rechmire Architektur. Wir sind uns heute Früh noch nicht begegnet. Dann bist du so schnell ins Zelt gestürmt, dass Rechmire uns nicht mehr vorstellen konnte. Da ich nicht viel Wert auf das offizielle Zeremoniell lege, war es mir egal. Aber nachdem du dich auf derart unzeremonielle Art und Weise von mir verabschiedet hattest, ohne mich kennen zu lernen, bin ich dir gefolgt. Ich bitte dich um eine Führung über die Baustelle.« Und dann fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu: »Dann vergessen wir die Etikette.«
»Weil du mich so höflich darum
bittest
, Prinz Sarenput, will ich dich gern über die Baustelle führen. Eine solche beruflich begründete Bitte kann ich einem künftigen Architekten nicht abschlagen.« Deutlicher konnte ich ihm nicht sagen, dass mir seine Leistungen wichtiger waren als sein Titel. »Zuvor gestatte mir jedoch, an der Besprechung mit dem Bauleiter Kamose teilzunehmen. Deshalb bin
ich
nämlich hier.«
»Selbstverständlich, Nefrit. Wenn es möglich wäre …«
»Komm mit!«
»Das Datum für die Grundsteinlegung steht nun endgültig fest«, berichtete mein Vater während der Besprechung. »Prinz Nefermaat hat den Termin für den nächsten Neumond festgelegt.«
»Das ist in vier Tagen«, wandte ich ein. »Schaffen wir die Vorbereitungen bis dahin?«
»Wir schon«, sagte mein Vater. »Der Wesir hat ein größeres Problem: Er muss den gesamten Hofstaat von der Residenz
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