Die Herrin der Pyramiden
dem Pinsel, den er zur Seite gelegt hatte, und fügte oberhalb der eingezeichneten Grabkammer noch ein Gewölbe ein, das den Druck der Bauschichten oberhalb des Kammersystems seitlich ableiten sollte.
Es war kein Zufall, dass die Hand des Lebendigen Gottes die meine berührte. Seine rechte Hand ruhte auf meiner und hielt sie fest. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Mein Vater starrte vom König zu mir und zurück zum König.
Djedef und Sarenput am Zelteingang waren wie versteinert. Was beabsichtigte der König mit dieser ungewöhnlichen Geste, die nicht dem Hofzeremoniell entsprach? Den Fuß des Königs zu küssen galt als höchste Ehre, die nur wenigen Menschen vorbehalten war, aber seine Hand zu halten ... Das hatte es noch nie gegeben!
Der Lebendige Gott erhob sich und zog mich hinter sich her. Meine Hand hatte er nicht losgelassen. Sarenput und Djedef konnten nicht schnell genug ausweichen, sanken mitten im Zelteingang zu Boden und drückten ihre Nasen in die Schilfmatte. »Wer sind diese beiden Sandkäfer?«, wollte Seneferu wissen.
Ich stellte eilig Kommandant Djedef und Prinz Sarenput vor. Djedef ignorierte er vollständig. »
Prinz
Sarenput?«
»Ich bin der Sohn des Prinzen Nefermaat, Euer Majestät. Ich bin Euer Neffe.«
Der König hatte das Zelt verlassen, ohne Sarenput zu Ende anzuhören. Er bestieg den Wagen und ergriff die Zügel, bevor Sarenput sich von seinem Schock erholen konnte. Sein Gefährt setzte sich in Bewegung, bevor mein Vater und ich den zweiten Wagen besteigen konnten. Der Herrscher trieb seine Pferde zum Galopp an und fuhr in halsbrecherischem Tempo hinüber zur Tribüne oberhalb der Grube für die Versenkung des Gedenksteins. Der gesamte Hofstaat hatte mittlerweile die Barken verlassen und sich in Sänften zur Plattform hinüber begeben, von wo aus er die Zeremonie der Grundsteinlegung beobachten konnte.
Als unser Wagen die Baugrube erreichte, war der Lebendige Gott schon zur Grube hinübergegangen. Mein Vater und ich standen direkt hinter dem König, als er bei dem Ritual der Grundsteinlegung Opfergaben in die Gründungsgrube der Pyramide versenkte und damit den offiziellen Beginn der jahrelangen Bauarbeiten an dieser Pyramide erklärte, die er
Khai Seneferu
zu nennen gedachte:
Erscheinung des Seneferu
.
Seneferu plante in Mempi die Errichtung der ersten geometrischen Pyramide der Welt. Kein anderes Volk jenseits unserer Grenzen vollbrachte ähnliche Leistungen wie wir. Die Sumerer bauten auch Götterberge, die sie Zikkurat nannten, aber sie waren nicht so hoch wie unsere. Die Pyramide war das Symbol der Königsmacht.
Nach der gründlichen Vorbereitung des Baugrundes konzentrierten sich die ersten Arbeiten am Grabmal auf die Ausschachtung des unterirdischen Kammersystems. Im Gegensatz zur Stufenpyramide von Pihuni sollte dieses neue Grabmal ähnlich wie bei den Königsgräbern von Sokar wieder tief in den Felsuntergrund reichen, um Grabräubern den Zugang zur Königsmumie zu verhindern.
Die Arbeiter schlugen hierfür entlang der vermessenen Mittelachse der Basisfläche einen über hundertzwanzig Ellen langen Schacht in den felsigen Untergrund, über dem das Kammersystem aus einzelnen Steinblöcken aufgemauert werden sollte.
Nach wenigen Wochen führte von der Nordseite des Fundamentes ein enger, absteigender Grabkorridor stromaufwärts bis in eine Tiefe von fast fünfzig Ellen unterhalb des Plateaus. Bei der Vermessung hatte mein Vater ein Wunder vollbracht: der nördliche Grabkorridor zeigte exakt auf den Nordstern. Der senkrechte Grabschacht von Pihuni, an den ich mich wegen meines nächtlichen Abenteuers im Inneren der Pyramide gut erinnern konnte und deren Pläne ich unzählige Male gezeichnet hatte, hatte sich für den Transport des geplanten Granitsarges als unbrauchbar erwiesen.
Das fünfundzwanzig Ellen hohe Kraggewölbe oberhalb der königlichen Vorkammer wurde in nur fünf Tagen errichtet.
In den darauffolgenden Tagen wurde auch die Decke der nächsten Vorkammer geschlossen. Das Gewölbe, das mit über vierunddreißig Ellen höher ausfiel als geplant, ragte vier Ellen über das Basisniveau der Pyramide hinaus. Mein Vater hatte eine schlaflose Nacht wegen dieser planerischen Schlamperei, wie er es nannte. Es kostete mich den gesamten folgenden Nachmittag, ihn zu überzeugen, dass nach Fertigstellung der Pyramide oberhalb des Kammersystems niemand diese Ungenauigkeit bemerken würde.
Parallel zur Fertigstellung des Kammersystems begannen die Arbeiten an der
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