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Die Herrin der Rosen - Historischer Roman

Die Herrin der Rosen - Historischer Roman

Titel: Die Herrin der Rosen - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Worth
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und nichts mit mir zu schaffen haben wollte. Aber wie konnte ich es ihm vorhalten? Die Nichte des Mannes, den sie »ille trux carnifex et hominum decollator horridus« nannten: den »wilden Schlächter und entsetzlichen Köpfer der Menschheit«.
    Den ganzen nächsten Tag blieb ich in meinem Gemach, saß auf einem Stuhl und starrte auf den Fluss. Bis Ursula anklopfte, um nach mir zu sehen, hatte ich eine Entscheidung gefällt.
    »Ruf den Haushalt in der großen Halle zusammen, Ursula«, sagte ich mit matter Stimme. Nie hatte ich geahnt, wie mühsam Sprechen sein konnte. »In einer Stunde sollen alle dort sein, ausnahmslos, denn ich habe ihnen etwas mitzuteilen. Bis dahin möchte ich nicht gestört werden.«
    Sie nickte und ging. Die Tür fiel ins Schloss, und ich sank tiefer auf meinen Stuhl und hielt die müden Augen geschlossen.
    Vor mir waren die Mitglieder des Haushalts versammelt. Sie waren alle da – Geoffrey, Agnes, die Wachmänner, die Landsknechte, die Knappen, die Stallburschen, die Sattler, die Waffenschmiede und ihre Helfer, die Küchenmägde und Köche, die Küchenjungen, die Schlachter, die Sticker- und die Näherinnen, die Ammen und die Spinnerinnen, die Weber und die Rosenkranzbinder, sogar der Vogt, der Verwalter, der Kassenwart, die Mönche und die Ordensbrüder. Sie beobachteten mich vorsichtig, senkten aber sofort den Blick, wenn ich sie direkt ansah. Ihre Haltung sagte deutlich, dass sie nicht hier sein wollten und jederzeit weglaufen würden, wenn ich es erlaubte. Ein bisschen waren sie wie das Wild im Wald, wenn es menschliche Stimmen hörte.
    Ich wappnete mich für das, was kommen würde, indem ich einmal tief Luft holte.
    »Den letzten Monat hat sich euer aller Benehmen verändert, was mir nicht entgangen ist. Zunächst wunderte ich mich, weil ich den Grund nicht kannte. Manche von euch sind seit vielen Jahren bei mir, andere recht neu im Haushalt, doch ich glaube, ihr alle wisst, dass mir jeder Einzelne von euch am Herzen liegt. Als eure Herrin war ich stets bestrebt, euch gut zu behandeln, eure Zwiste auf besonnene Weise beizulegen und die Arbeit gerecht unter euch aufzuteilen, auf dass keiner mit mehr Aufgaben belastet sei als andere. Wenn ihr krank seid, verbiete ich euch weiterzuarbeiten, und wenn ihr niederkommt, stehe ich euch bei.«
    Ich machte eine Pause, bevor ich weitersprach.
    »Nun erfuhr ich den Grund, weshalb viele von euch neuerdings unglücklich mit ihrer Stellung bei mir sind. Ich möchte euch erklären, dass ich keinerlei Anteil an der Entscheidung meines Onkel hatte, zu … zu tun, was er getan hat. Wie ihr trauere ich von ganzem Herzen um jene armen, unglücklichen Seelen und ihre Familien. Möge Gott in seiner unendlichen Güte ihr Leid erkennen und ihre Sünden vergeben! Gottesmänner sagen uns, dass wir uns vor Gott nur für unsere eigenen Taten verantworten müssen, aber vor den Menschen tragen wir eine Mitschuld an den Taten unserer Angehörigen. Jedem, der meine Dienste verlassen möchte, steht es frei zu gehen. Ich zahle denjenigen einen zusätzlichen Monatslohn, und sollten sie jemals meiner Hilfe bedürfen, steht ihnen meine Tür allzeit offen.«
    Ich wartete, erschöpft von meiner kurzen Ansprache, denn sie hatte mich an die Grenzen meiner Kraft gebracht. »Das ist alles. Ihr dürft euch wieder zurückziehen.«
    Nur einer meiner Diener, der erst seit Kurzem bei mir war, verließ den Haushalt.
    Am nächsten Morgen, als Agnes mein Bett richtete, tröstete sie mich: »Er ist zu jung, um viel über das Leben zu wissen, aber er wird bald dazulernen. Wir anderen, wir waren Narren, Euch die Mitverantwortung zu geben, Mylady. Ihr habt nicht mehr Anteil an diesen furchtbaren Ereignissen als wir.«
    In stummer Dankbarkeit legte ich eine Hand auf ihren Arm. Dann ging ich Ursula suchen. »Ich reite nach Bamburgh, Ursula«, teilte ich ihr in einem kraftlosen Flüstern mit. »Sag Geoffrey, er möge die Pferde bereit machen.«
    Ursula bedachte mich mit einem wissenden, mitfühlenden Blick, erwiderte aber nichts, sondern bejahte stumm.
    Vor dem geschlossenen, von hohen Mauern eingefassten Tor von Bamburgh Castle rief Geoffrey dem Wächter zu, wer wir waren. Das Fallgitter wurde unter lautem Kettengeklirr und Knarren nach oben gezogen, und wir ritten hinein. Die Soldaten, an denen wir vorbeikamen, grüßten mich höflich, aber kühl, was ich indes kaum wahrnahm, weil ich in Gedanken ganz bei dem war, was ich John sagen wollte. Da es bitterkalt und ich in Eile war, wartete ich

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