Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
war sehr viel ernster und größer, womit auch mehr Leben auf dem Spiel standen.
Der Brief zitterte in meiner Hand, so fest hielt ich ihn beim Lesen. Edward macht sich keine Vorstellung, zu welchem Preis John seine Siege erlangt!, dachte ich. Ich sank auf einen Stuhl am Fenster und sah hinauf in den trüben Himmel. Wie könnte John seine eigene Familie töten? Er war kein Mann, der freimütig aussprach, was ihm auf dem Herzen lastete, aber ich las zwischen den Zeilen und spürte sein Zaudern und die Tiefe seines Elends angesichts des Zwiespalts, in dem er sich befand. Ich konnte seinen inneren Kampf fühlen. Er hasste es zu töten; und nun war er – wieder einmal – genötigt, die umzubringen, die ihm teuer waren.
Ich stand auf und ging ins Kinderzimmer, weil ich dringend das Lachen meiner Kleinen hören wollte. Als ich an der großen Halle mit ihren vielen prächtigen Säulen vorbeiging und durch die Bogentür trat, kam Agnes mir von den Turmstufen entgegengelaufen. Sie war außer Atem, lächelte jedoch strahlend. Sie hat Neuigkeiten! Gute Neuigkeiten!, dachte ich. Ich eilte mit ihr in ein kleines leeres Vorzimmer.
»Es gibt Nachricht aus York, Mylady! Der Cousin meines Ehemannes kam eben an, als ich heute hergehen wollte. Er war bis gestern Abend bei Mylord of Northumberland in York. Mylord hat Robin von Redesdale überredet, sich zu stellen! Er brachte Lord Scrope of Bolton, Robin of Redesdale selbst und viele andere nach Pontefract zu König Edward, um Gnade für sie zu erbitten. Und der König, großherzig wie immer, hat sie alle begnadigt!«
Ich war außer mir vor Freude! Den ganzen Tag lächelte ich überglücklich, tanzte mit den Kindern, spielte alberne Spiele mit ihnen und lachte genauso ausgelassen wie die dreijährige Lucy. Abends aß ich mit großem Appetit und ging so glücklich ins Bett wie seit Wochen nicht mehr. In dieser Nacht weckte mein Herz mich nicht mit seinem rastlosen, unregelmäßigen Schlagen. Am Ende hatte John seine Pflicht getan – und so gut, dass weiteres Blutvergießen hatte vermieden werden können.
Spät in jener Nacht, weit nach dem Abendgeläut des fünfundzwanzigsten Tages im März, als die Burg noch im tiefen Schlummer lag, gab es gewaltigen Lärm auf dem Burghof. Ich schrak auf, eilte ans Fenster und musste mir die Augen reiben, ehe ich John im Fackelschein erkannte. Er hatte nur Tom Gower und Rufus bei sich. Stumm schaute ich zu, wie er Tom Saladins Zügel gab.
Dann griff ich nach dem Morgenmantel und einer Kerze, schlüpfte in meine Pantinen und lief die Turmtreppe hinunter, angespornt von finsteren Vorahnungen. Warum kam John unangekündigt heim? Was veranlasste ihn, solch eine riskante Reise mitten in der Nacht zu unternehmen?
Mit gesenktem Kopf stieg er die Stufen zum Burgfried hinauf. Es nieselte und war bitterkalt, doch nicht die Nässe machte mich frösteln, sondern Johns Haltung, als wäre er in einer schrecklichen Schlacht schwer verwundet worden. Erschrocken blieb ich vor ihm stehen und stützte mich an der feuchten Mauer des Türbogens ab. John erstarrte und blickte mich an. Die Kerze in meiner Hand flackerte im Nieselregen, dennoch konnte ich den Ausdruck in Johns Augen sehen, der mir einen stummen Schrei entlockte. Es war der gleiche desorientierte, ungläubige Blick wie an jenem furchtbaren Tag, als uns die Nachricht aus Wakefield erreicht hatte. Gütiger Gott, was ist geschehen?, überlegte ich voller Angst. John öffnete den Mund, sagte jedoch nichts. Stumm nahm ich seinen Arm, legte ihn mir um die Schultern und half John die Stufen nach oben und in unser Schlafgemach. Dort sank er auf den Stuhl am Fenster und stützte den Kopf in beide Hände. Es brach mir das Herz, ihn so zu sehen, doch ich stellte keine Fragen. Stattdessen kniete ich mich vor ihn und lehnte meine Wange an sein Bein.
Die Kerze brannte aus, und Dunkelheit legte sich über uns. Die Kirchenglocken schlugen erst zwölf, dann eins, zwei … vier. Eine Eule schrie. Auf dem Kaminsims zählten die rieselnden Sandkörner die unaufhaltsam verrinnende Zeit. Der Mond überquerte den dunklen Himmel und verblasste; ein Hahn krähte, dem andere Hähne antworteten; fahles Morgenlicht fiel ins Zimmer, und immer noch saß John schweigend da. Ich wollte schreien, ließ es aber. Mit bangem Herzen wartete ich. Wartete, wie ich mein ganzes Leben gewartet hatte … als wartete ich auf den Tod selbst.
Schließlich hörte ich, wie John nach Atem rang. Ich hob den Kopf und sah, dass er die Hände vom
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