Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
konnten.
Ich sah zur Seite, wo mein Gemahl auf Saladin ritt. John blickte fest geradeaus und erlaubte sich nicht, noch einmal zurückzusehen. »Im Nest vom letzten Jahr findet man keine Eier.« Hatte er mir nicht wieder und wieder gesagt, dass es falsch war zurückzuschauen? Also würde ich nun auch nach vorn blicken und nicht noch einmal zu dem Ort zurück, an dem ich so viele glückliche Erinnerungen zurückließ.
Das Leben in Seaton Delaval war schwieriger denn je, kummergeplagt wie wir waren. Wir lebten als Feinde unter Feinden, hatten keine Verwandten, die uns beistanden, und keine Freunde, denn sie alle hatten böse Winde vertrieben. Die Percys freuten sich und feierten ausschweifende Feste, wir hingegen zählten unsere mageren Einkünfte und stürzten uns in die Arbeit, so gut wir konnten. Für die Bediensteten war es nicht minder hart, mussten sie doch vieles neu lernen. Eines Tages ertappte ich Agnes dabei, wie sie die Binsen austauschte, und musste ihr sagen, dass sie sie niemals ohne meine ausdrückliche Weisung auswechseln durfte. Ich wachte darüber, wie viele Kerzen verbraucht wurden, und gab acht, dass nie welche unnötig brannten. Mit der Näherin zusammen flickte ich Kleider und nähte neue für unsere Mädchen, die, mit Ausnahme der noch kleinen Lucy, binnen Monaten aus den alten herauswuchsen. Trotzdem waren die Ausgaben hoch und die Einkünfte niedrig, und John musste sich überlegen, wo er sich Mittel leihen konnte. Jeden Abend ging ich erschöpft ins Bett, jedoch nie ohne zuvor für Johns Wohlergehen gebetet zu haben. Denn so beschwerlich diese Umstände für mich sein mochten, für ihn waren sie schlimmer: Gedemütigt und verhöhnt, musste er das karge Leben eines Soldaten fristen, ohne Wärme oder Trost, mit Leib und Seele abhängig davon, wie das nächste Scharmützel ausging.
Als wären unsere Verluste noch nicht hinreichend groß, verregnete ein nasses Frühjahr die Felder, sodass uns eine schlechte Ernte drohte – und vielen der Hungertod im kommenden Winter. Ohne die Einnahmen aus den Goldminen von Devon konnten wir wenig helfen, und ich schlug meine eigene Schlacht mit den Haushaltsbüchern. Quasi minütlich ging ich sie mit dem Verwalter durch, prüfte sorgsam die täglichen Einkäufe von Lebensmitteln, die Zahl der Mahlzeiten, die bereitet wurden, und die Kosten für die jungen Helfer, die wir als Boten beschäftigten. Ich fand Wege, die Anzahl der Schreiber zu begrenzen, die die Bücher führten und die Korrespondenz erledigten. Die Löhne zahlte ich selbst aus und nahm mir einen Moment, um mit jedem Bediensteten zu reden, zum Namenstag oder der Geburt eines Kindes zu gratulieren, sie für ihre gute Arbeit zu loben oder um Vorschläge zu machen, wo Verbesserungen möglich wären.
John sah ich selten. Er war genötigt gewesen, sich von seinem guten Freund Lord Scrope of Masham Geld zu borgen, jetzt, da er sich nicht mehr an Warwick wenden konnte. Und Scrope hatte ihm sehr großzügig ausgeholfen, ohne eine Gegenleistung zu fordern. Lord Scrope, der sich mit Robin of Redesdale und Warwick gegen Edward aufgelehnt hatte. Diesmal verstand ich, dass John allein sein wollte, denn mir ging es nicht anders.
Es gibt so vieles zu betrauern, dachte ich, während ich dem Kerzenmacher half, heißes Wachs in die Kerzenformen zu gießen. Schweißperlen traten mir auf die Stirn; ich wischte sie mit dem Ärmel ab, weil ich keine Hand frei hatte. Nach wie vor gaben wir den Armen und den Wandergesellen Unterkunft, jedoch nie länger als eine Nacht, denn mehr Großzügigkeit erlaubten unsere Mittel nicht. Mit wachsender Besorgnis lauschte ich den Nachrichten, die man mir brachte. Was ich indes noch mehr fürchtete als die Pilger und Händler, die bei uns haltmachten, waren Johns Briefe. Die meisten von ihnen enthielten traurige Nachrichten.
Im Juni holte Edward zu einem weiteren brutalen Schlag aus, indem er John die Bewachung der East Marshes entzog und sie an Percy übertrug, sodass John nur noch das Kommando über die West Marshes an der schottischen Grenze blieb. Johns Besuche wurden noch seltener, weil Seaton Delaval zu weit entfernt war. Aber wenn er nun nach Hause kam und das Bedürfnis hatte, übers Moor zu reiten, begleitete ich ihn. Manchmal liebten wir uns in einem alten verlassenen Schafunterstand, wo der Wind um uns herum heulte. Allein und umgeben von weitem Land, schienen uns die heilsame Berührung der Natur und die alten römischen Festungen und Grabstätten für einen Moment aus
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