Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
eines lancastrianischen Ritters, nun fest in den Händen der Königin. Dies hier ist Wahnsinn!« Ich wollte mich ihm entwinden, doch er hielt mich nur fester.
»Ihr kennt meinen Vater nicht. Er wird uns unterstützen, denn er weiß, was Liebe ist, und wünscht sich, dass ich glücklich bin.«
»Oh, Mylord, ich will es zu gern glauben, doch ich kann nicht! Ich möchte nicht vergebens hoffen und am Ende nichts als Kummer erleben.«
»Isobel«, sagte John so ernst und entschlossen, wie er vorhin zu den anderen Männern gesprochen hatte, »fasst Euch ein Herz und glaubt, wie ich glaube. Es wird geschehen. Ihr werdet es sehen.«
Ich schloss die Augen und rang um Fassung. Leider stahl sich trotzdem eine Träne aus meinen Augen und kullerte mir über die Wange.
»Nun muss ich gehen«, hörte ich ihn sagen. »Gott schütze Euch, Isobel, meine Liebe! Ich sehe Euch in London.«
6
O KTOBER 1456
Zurück nach London wählten wir eine andere Route. Mein Kopf war so angefüllt mit Gedanken an John, dass ich die quakenden Gänse und blökenden Schafe gar nicht recht wahrnahm, die uns zum Halt zwangen, genauso wenig wie unsere Mitreisenden, Kaufleute und Bauern, die ihre Waren zum Markt brachten und wie wir im scheußlichen Regen unterwegs waren. Hin und wieder kamen wir an Rittern oder edlen Damen mit Gefolge vorbei, und obgleich die Gefahr gering war, dass man mich erkannte, senkte ich stets den Kopf, bis sie hinter uns waren. Mir war, als schwebte ich auf einer Wolke nach Westminster, so wenig bemerkte ich die Pfützen, Karrenfurchen oder sonstigen Beschwernisse auf der Reise, die mich Monate zuvor so arg strapaziert hatte. Bald schon ritten wir durch die stickigen Straßen Londons nach Westminster, wo wir rechtzeitig zum Abendessen eintrafen, sodass unsere Abwesenheit nicht auffallen würde. In unserer Kammer zogen wir die schmutzigen Habite aus, rollten sie zu einem Bündel und steckten sie ganz unten in meine Truhe.
»Ich sehe keine Notwendigkeit, dem guten Duke Humphrey Nachricht zu bringen«, sagte ich in Gedanken versunken und klappte den Truhendeckel zu. »Er wird früh genug von unserem Erfolg hören.« Irgendwie erschien mir die Stille unserer Kammer nach all der Aufregung und Gefahr unerträglich. Eigentlich sollte ich müde sein, doch davon spürte ich nichts; vielmehr fühlte ich mich richtiggehend aufgekratzt. Ich streifte die Lederschuhe ab, sang die Melodie, zu der ich auf Tattershall Castle getanzt hatte, und drehte mich mit weit ausgebreiteten Armen dazu. Ursula bedachte mich mit einem Blick, wie ich ihn noch nie bei ihr gesehen hatte.
»Ihr tanzt so wunderschön, meine teure Lady. Es erinnert mich an Wesen aus einem Zauberwald, an geschmeidige und elegante Nymphen.«
Ich wurde rot. »Du bist sehr freundlich, Ursula. Stets großzügig mit deinem Lob.«
»Es ist keine Schmeichelei, sondern die Wahrheit.«
In meinem Hemdchen setzte ich mich auf die Bettkante, den Kopf voller Gedanken an John, wie ich ihn verlassen hatte. »John müsste inzwischen im Erber angekommen sein.« Das Erber war die Salisbury-Residenz in Dowgate. »Ich frage mich, was er gerade tut.«
»Er denkt an Euch«, kicherte Ursula.
Ursulas unverblümte Art entlockte mir wieder einmal ein Lächeln. »Morgen wird er zur Ratsversammlung nach Westminster kommen, dann sehe ich ihn wieder«, sagte ich verträumt. Bei der Vorstellung wurde mir heiß, und ich musste erkennen, dass die Zeit meine Gefühle für John nur noch stärker entflammt hatte, anstatt mich von ihnen zu kurieren. »Ich verstehe es nicht, Ursula. Alles an mir schmerzt, wenn ich an ihn denke. Ich weiß, dass es das ist, was man ›Liebe‹ nennt, aber ich begreife nicht, wie oder warum … Du?«
»Liebe hat schon weisere Köpfe als Euren verwirrt, teure Isobel. Es steht in den Schriften meines Vaters, und auch er beschreibt sie als Mysterium. Nun, wenigstens habt Ihr sie gekostet und wisst, wie sie sich anfühlt. Das ist ein Segen, nehme ich an, auch wenn ich es nicht erleben möchte.«
»Hast du nie geliebt, Ursula?«
»Nein, ich glaube nicht. Da gab es mal einen Jungen, den ich recht nett fand. Aber ich fühlte nie, was Ihr jetzt fühlt, dieses … Sich-Verzehren, glücklich und unglücklich zugleich sein.«
»Sich verzehren, ja, wie Feuer alles verzehrt. Und als ich John dort in dem Zimmer sah – ach, Ursula! Es war, als flöge mein ganzes Sein zu ihm. Wenn ich ihn nicht sehen kann, leide ich … Falls ich ihn heiraten darf, schwöre ich, dass mich nicht kümmert,
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