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Die Herrin der Rosen - Historischer Roman

Die Herrin der Rosen - Historischer Roman

Titel: Die Herrin der Rosen - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Worth
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besuchte. Der Goldschmied ist zufällig ein guter Freund des Schultheißen und hat alles miterlebt.«
    Ich schloss die Augen. John war sicher! Im Geiste sah ich die aufgebrachte Menge, mit Lanzen bewehrt und brüllend, die Somerset aus der Stadt jagte. Eine sehr ähnliche Wut hatte ich in London gesehen, sehr ähnliche Beschimpfungen gehört.
    In dieser Nacht schlief ich so gut wie seit Wochen nicht. Am nächsten Tag kam Nachricht von meinem Onkel. Ich gab dem Boten eine Münze, brach ungeduldig das Siegel und las:
    Meine geliebte Nichte Isobel,
    dein Brief traf wohlbehalten ein, und ich habe gründlich über deine Bitte nachgedacht, mich bei der Königin für dein Begehr auszusprechen. Sir John Neville, dem du deine Zuneigung schenkst, ist ohne Frage ein Mann von tadellosem Charakter. Wie du weißt, bin ich selbst ihm schon bei vielen Anlässen begegnet, als er noch ein junger Bursche war, und konnte nichts an ihm entdecken, das gegen ihn spräche. Indes würde ich meiner Pflicht dir und deiner seligen Mutter gegenüber nicht gerecht, würde ich versäumen, dir die Gründe aufzuzeigen, aus denen eine solche Verbindung wider deine Interessen wäre. Wie es der Zufall will, werde ich vor meiner Abreise nach Rom bei Hofe sein. Dort können wir einander sehen und diese überaus wichtige Angelegenheit persönlich bereden.
    Gott behüte dich!
    Dies am ersten Tage des Dezembers 1456 in Dublin Castle.
    In Liebe, dein Onkel,
    John Tiptoft, Earl of Worcester, Lord Lieutenant of Ireland, Königlicher Gesandter seiner Majestät, König Henry VI. von England, am Päpstlichen Hof seiner Heiligkeit Papst Callistus III. in Rom
    Mit zitternden Händen faltete ich den Brief zusammen und schob ihn in meinen Ausschnitt. Dann lief ich zur Kapelle und bat um Gottes Hilfe, die rechten Worte zu finden, mit denen ich meinen Onkel für meinen Wunsch gewinnen konnte.
    Er traf eine Woche später ein und schickte gleich nach mir. Kurz nach dem Frühstück kam ein Page und teilte mir mit, dass mein Onkel mich zu sehen wünschte. Ich folgte dem Jungen durch mehrere Korridore, vorbei an Wachen, Boten, Dienern, Geistlichen und allen erdenklichen adligen und einfachen Leuten, mehrere Treppen und ausgetretene Stufen hinunter und über den Innenhof hinauf zur Unterkunft meines Onkels im Ostturm. Seine Diener brachten die Truhen herbei und richteten ihm die geräumige Kammer ein.
    Da mein Onkel noch nie jemand gewesen war, der Zeit vergeudete, war er schon dabei, zwei Schreibern gleichzeitig Briefe zu diktieren. Zwischendurch instruierte er die Diener, wo sie welche seiner Sachen hinräumen sollten. Als ich vom Wachmann an der Tür gemeldet wurde, blickte er auf. Sogleich wurden seine strengen Züge freundlicher. Ein Lächeln trat auf sein Gesicht, und er breitete die Arme aus. Ich warf mich hinein.
    »Onkel, liebster Onkel, welche Freude, Euch zu sehen!« Ich umarmte ihn und sah mit Freudentränen in den Augen zu ihm auf.
    Der Bruder meiner Mutter war die einzige Familie, die ich noch besaß, und er hatte von jeher einen festen Platz in meinem Herzen. Als Kind hatte er mich auf dem Schoß gehalten und mir vorgelesen, Blindekuh mit mir gespielt und sogar noch größere Geduld mit mir bewiesen als meine Amme. Ich liebte meinen Onkel Tiptoft mit einer Inbrunst, die weder Zeit noch Entfernung zu mindern vermocht hatten. Deshalb wohl empfand ich eine schmerzliche Traurigkeit ob der Veränderungen, die sich an ihm zeigten. Die Jahre hinterlassen ihre Spuren, dachte ich angesichts seiner silbergrauen Schläfen, der erschlafften Wangen und der steilen Falten zwischen seinen Brauen, die sein einziges bedauerliches Merkmal betonten: seine Augen. Zwar waren sie vom schönsten Blau, doch viel zu weit vorgewölbt. Abgesehen davon war er von sehr angenehmem Äußeren, und das Alter hatte ihn noch nicht gebeugt.
    Mit einer Handbewegung entließ er seine Diener; die Tür fiel hinter ihnen mit einem dumpfen Knall zu. »Gutes Kind, hier, nimm Platz!« Er wies zu einem der Stühle, auf dem eben noch ein Schreiber gesessen hatte, und setzte sich mir gegenüber an den Schreibtisch. »Du siehst wohl aus«, sagte er, nachdem er mich eingehend betrachtet hatte. »Sehr sogar. Deine Mutter wäre stolz, dass du zu solch einer schönen jungen Dame erblüht bist.«
    Ich senkte den Blick. Eine Krankheit hatte mir meine wunderschöne Mutter, Joan Tiptoft, genommen, als ich erst sechs Jahre alt gewesen war, und ihr Verlust würde mich bis ans Ende meiner Tage begleiten.
    »Ja, sie

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