Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
dämmrigen Licht erkannte ich, dass seine Pupillen lüstern geweitet waren. »Niemand weist mich ab!«
Ich schrie um Hilfe und wollte mich ihm entwinden.
Aus der Dunkelheit erschien eine Wache. »Haltet ein!«, rief der Mann und zog sein Schwert.
Ohne den Griff zu lockern, wandte Somerset sich um und sah dem Mann ins Gesicht. Prompt nahm die Wache das Schwert herunter und wich unter gemurmelten Entschuldigungen zurück.
In dem Moment begriff ich, dass ich keine Hilfe erwarten durfte, mich folglich selbst retten musste. Ich nahm mein Messer aus dem Ärmel und schnitt Somerset in die Hand, als er auf die Wache achtete, nicht auf mich.
Fluchend ließ er meinen Arm los. Während er damit beschäftigt war, den Blutfluss zu stoppen, rannte ich den Korridor entlang zu meiner Kammer und wäre in meiner Hast mehrmals fast gestolpert. Drinnen schob ich den Riegel vor und sank zitternd in Ursulas Arme. Am nächsten Tag blieb ich in meiner Kammer, bis Ursula kam und mir sagte, dass Somerset fort war.
Mit seinem Verschwinden wurde es ruhiger auf der Burg. Ich verbrachte viele Stunden in der Kapelle, flehte die Jungfrau Maria um Hilfe an und flüsterte sogar bei der Näharbeit meine Gebete, statt wie die anderen um mich herum zu plaudern und lustig zu sein. Der große Gobelin für den Westminster-Palast war beinahe fertiggestellt und würde bald in der großen Halle dort hängen, wo er all jene an die Bedeutung Weihnachtens erinnern sollte, die Wert auf jene Botschaft legten. Liebet eure Feinde, war unter der Szene aufgestickt, in der Jesus das Kreuz nach Golgatha trug. Ja, Vergebung war bisweilen eine noble Regung und bei Hofe dringend vonnöten. Jedes Mal, wenn ich den Gobelin ansah, erschienen die wütenden Gesichter Somersets, Cliffords, Egremonts und anderer vor meinem geistigen Auge, die ihre Väter und Brüder in der Schlacht von St Albans verloren hatten, und nahmen den Platz der feindseligen Menge um Christus ein.
Ich verstand, was der König wollte. Der sanftmütige Henry hatte das Motiv weise gewählt. Doch würden die Menschen auf die Botschaft hören?
Obwohl ich Grund hätte, die Zustimmung der Königin zu meiner Vermählung zu feiern, war ich betrübt, weil ich mich nach John sehnte. Das Lachen und die Fröhlichkeit der Weihnacht wirkten seltsam leer, und inmitten des ausgelassenen Trubels fühlte ich mich einsamer denn je.
8
J ANUAR 1457
Der Januar hielt mit Schneetreiben Einzug, und die Feiertagsgäste auf Coventry Castle reisten auf ihre Güter zurück. Ich widmete mich meiner Aufgabe, die Kinder zu unterrichten, Besorgungen für die Königin zu tätigen und die Webarbeiten zu beaufsichtigen, während ich auf Nachricht von John wartete. Leider geschah nichts, das mir Freude bereiten konnte. In dem Glauben, der Earl of Salisbury könnte oder würde niemals die geforderte Summe für mich aufbringen, wägte die Königin Angebote anderer Verehrer für mich ab, was mich in konstante Angst versetzte, am Ende doch mit jemand anderem vermählt zu werden. In den ersten Tagen des Jahres 1457 war ich von solcher Sorge und Unruhe erfüllt, dass ich häufig an Kopfschmerzen litt und kaum schlafen konnte. Nicht einmal heiße Schlaftrünke halfen mir.
Eines bitterkalten Morgens kam ich in unsere Kammer und fand Ursula weinend mit einem Brief in der Hand vor. »Was ist dir, meine Liebe?«, fragte ich, setzte mich neben sie auf die graue Bettdecke und strich ihr über das Haar.
Ursula sah mich mit geröteten, geschwollenen Augen an. »Mein Vater wurde in den Kerker geworfen!«
Entsetzt rang ich nach Atem. »Wessen beschuldigt man ihn?«
»Es ist eine Lüge! Man behauptet, er hätte eine Nonne geschändet!«
Sprachlos vor Schreck starrte ich sie an.
»Er hat es nicht getan! Das könnte er nie«, sagte Ursula weinend. »Es ist alles wegen Elizabeth Woodville, dessen bin ich gewiss.« Sie schluchzte zum Steinerweichen.
Ich nahm sie in die Arme und dachte an den Eklat die Woche zuvor im Gobelinzimmer. Elizabeth hatte über Tage eine junge, recht unförmige Dienerin verhöhnt, bis das Mädchen schließlich vor uns allen in Tränen ausgebrochen war. Darauf hatte Ursula gewagt, das Mädchen vor Elizabeth Woodvilles Augen zu trösten, und irgendwann war das geflüsterte Wort »Hexe!« gefallen, das niemandem entgangen war. Es stimmte, dass man Elizabeths Mutter Jacquetta, Duchess of Bedford, nachsagte, sie hätte sich mit Hexerei eingelassen, um das Glück zu sichern, das ihre Familie zu verfolgen schien. Aber niemand
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