Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
rotem Herbstlaub. Als die Oktobersonne schwand und kühler Regen einsetzte, entdeckte ich, dass ich wieder guter Hoffnung war. An Allerseelen, dem zweiten November, war ich im vierten Monat, und John verkündete mir, dass er fortmüsse.
»Ich reite nach Sheriff Hutton«, erzählte er mir, »und von dort nach Westminster.«
Erschrocken gab ich Izzie der Amme und sah ihn an. »An den Hof?«, fragte ich ängstlich, denn mir kam sogleich der rachsüchtige Somerset in den Sinn. »Aber warum? Was ist so dringlich, dass du an den Hof musst?«
»Die Königin hat Warwick einbestellt, damit er von Calais berichtet und seinen Angriff auf die Easterling-Salzflotte erklärt, den sie einen ›Akt von Piraterie‹ nennt. Sie hat Lord Rivers zum obersten Richter bei der Befragung berufen. Wir wissen, dass sie planen, Warwick das Kommando über Calais zu nehmen und es Somerset zu geben. Deshalb muss ich für meinen Bruder dort sein, falls es Ärger gibt.«
»Wer ist Lord Rivers?«
»Du kennst ihn als Sir Richard Woodville, den Günstling der Königin. Er ist der landlose Ritter, der die Duchess of Bedford heiratete. Marguerite hat ihn unlängst zum Baron erhoben.«
Elizabeth Woodville steigt noch weiter auf, dachte ich mit einem Anflug von Bitterkeit.
In jenen Tagen schlief ich unruhig und wurde von schlechten Träumen geplagt, die zweifellos meiner Sorge wegen Johns bevorstehender Reise nach Westminster geschuldet waren. In der Nacht nach seiner Abreise saß ich am Fenster, blickte hinaus in die Dunkelheit und lauschte den Mönchen, die in der Kapelle ihre Morgengebete sangen. Plötzlich kam mir eine Idee: Ich würde nach London reiten! Es musste natürlich im Geheimen sein, sodass mich niemand aufhalten konnte, was sie gewiss versuchen würden, zumal ob meines Zustandes.
Sobald es hell wurde, begab ich mich auf die Suche nach dem neuen Mann, den John für mich in seine Dienste genommen hatte, und fand ihn im Zeughaus, wo er dem Schmied half, der Rose’ Hufeisen erneuerte.
»Geoffrey«, rief ich. Trotz seiner beinahe fünfzig Jahre war er stark und sehnig, hatte noch dichtes Haar und recht gute Zähne. Er wischte sich die Hände an der Lederschürze ab und kam lächelnd auf mich zu. Überhaupt lächelte er viel und war ein ausgesprochen freundlicher Mann. Den Großteil seines Lebens war er Soldat gewesen. Von einer alten Kampfverletzung war ihm ein Humpeln geblieben, deshalb hatte John ihn bewegt, eine leichtere Arbeit zu übernehmen. So war er Mitglied meiner kleinen Bedienstetenschar geworden; er stammte aus dem Dorf Sawston, in dem wir ein Gutshaus bewohnten.
»Mylady?«, fragte er.
»Ich reite nach London. Du und Ursula kommen mit mir. Sattel mir eine braune Stute! Ich nehme Rose nicht mit«, erklärte ich ihm. »Sie ist zu auffällig, und es soll niemand erfahren. Also erwähne es nicht vor anderen. Wir brechen in einer Stunde auf.«
Zwar zog er verwundert die Brauen hoch, ließ sich jedoch sonst nichts anmerken. »Ich werde alles bereithaben, Mylady.«
Die große Glocke im Steinturm von Westminster schlug fünf, als ich mit Ursula und Geoffrey London erreichte. Wir hörten sie sogar in Bishopsgate, da sich viele Bürger zum Abendessen in ihre Häuser zurückgezogen hatten und es still in der Stadt war.
Schwere Novemberwolken hingen über Westminster, als wir uns näherten, und erschienen mir wie Sinnbilder der Spannungen allerorten. Die Wachen betrachteten uns länger als gewöhnlich, ehe sie uns Zutritt gewährten. Drinnen nahmen uns Stallburschen wortlos die Pferde ab. Ein Diener half Geoffrey, meine Truhe vom kleinen Karren zu heben, wobei er den Blick abgewandt hatte und kaum einen Laut von sich gab. Im großen Burghof mit dem hübschen Springbrunnen herrschte das übliche Gewusel an Kaufleuten, Mönchen und Priestern, Rittern, Damen und hoffnungsvollen Bittstellern. Nur war nirgends Lachen oder munteres Geplauder zu hören, nicht einmal unter den Bediensteten. Mir bereitete Sorge, dass sie beim Entladen von wuchtigen Mehlsäcken oder Brennholz nicht wie früher derb untereinander scherzten.
Ich ging auf einen königlichen Offizier zu, von dem ich wusste, dass er dem Kammerherrn diente. Nachdem ich ihm meinen Ring mit Prinz Edwards Schwanenemblem gezeigt hatte, gab ich ihm eine Silbermünze und bat um die kleine Kammer, die ich im Vorjahr bewohnt hatte.
»Die kann ich nicht einfach für irgendwen richten lassen, wie Ihr versteht, nicht, Mistress Haute?«, sagte er und steckte rasch die Münze ein. Ich
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