Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
einäugigen Soldaten mit dem geknoteten Kopftuch, der grinsend an der Spitze von Warwicks Gefolge stolziert war.
»Die Yorkisten-Anführer waren gezwungen zu fliehen, um ihr Leben zu rette. Mylord Warwick ist mit seinem Vater und Yorks ältestem Sohn, Edward of March, nach Calais.«
Neben mir rang Nan nach Luft. Ich legte einen Arm um ihre Schultern.
»Dank Gottes Gnade konnten der Duke of York und sein Sohn Edmund, der Earl of Rutland, entkommen. Sie flohen mit Lord Clinton nach Irland. Jedoch wurden die Duchess of York und ihre Söhne, der zehnjährige George und der siebenjährige Richard, gefangen genommen und mussten mitansehen, welche Rache die Königin an Ludlow übte … Nachdem die Stadt geplündert war, wurden die Yorkisten-Soldaten, die sich ergaben, gehängt, gestreckt und gevierteilt, und die Königin gab der wilden Horde, die sie eine ›Armee‹ nennt – ein Haufen von Schotten und Unholden –, die Erlaubnis, das Dorf so brutal niederzumachen, als wäre es in einem fremden Land. Ihre Männer fielen im Rausch über Frauen her und steckten die Kirche in Brand, in der viele, auch Kinder und Vieh, Zuflucht gesucht hatten.«
Der Schrecken dieses Berichtes musste zu viel für mich gewesen sein, denn das Nächste, woran ich mich erinnere, war ein stechender Schmerz in meinem Leib. Danach nichts mehr. Als ich aufwachte, lag ich in meinem Schlafzimmer, und Ursula tupfte mir die Stirn ab.
»Mein Baby!«, rief ich ängstlich, fühlte nach meinem Bauch und stützte mich auf einen Ellbogen auf.
»Alles ist gut, Isobel, meine Liebe«, sagte Ursula. Sie drückte mich sanft wieder nach unten und zog mir die Decke bis zum Kinn hoch. »Ihr hattet nur einen furchtbaren Schrecken, sonst nichts.«
Doch meine Bedenken blieben, und in der darauffolgenden Nacht stand ich mehrfach auf, um an meinem Betpult für mein Ungeborenes zu beten.
Bald kam ein weiterer Bote mit Weisung von Warwick, seine Countess und die beiden Töchter sollten zur Sicherheit zu ihm nach Calais kommen. Bei heftigem Regen verabschiedete ich mich traurig von ihnen und erdrückte die liebe Anne beinahe, als ich vor ihr auf dem nassen, schneidenden Kies im Hof kniete.
»Keine Sorge, ich komme wieder!«, rief die Kleine in ihrer üblichen Art. Nur brachte sie mich diesmal nicht zum Lachen. Stattdessen kamen mir die Tränen. Ich sah der Gruppe nach, die ins Zwielicht ritt, und fühlte mich entsetzlich elend. Marguerite zerriss das Land und spaltete jedes Dorf, jeden Haushalt, jedes Kloster, und ich stand hier allein, während mein Gemahl und sein Bruder Thomas eingekerkert waren und ihre Angehörigen aus dem Land getrieben wurden. Nie hatte ich mich hilfloser gefühlt. Wo soll ich hin?, fragte ich mich. Was soll ich unternehmen? Und was hat es noch für eine Bedeutung?
Ich ermahnte mich, nicht in Selbstmitleid zu verfallen, denn ich musste stark sein. Ich war Mutter, und selbst wenn die ganze Welt verloren war, musste ich um meiner Mädchen und des neuen Lebens willen, das ich in mir trug, überleben.
Am nächsten Morgen packte Ursula unsere wenigen Sachen, Geoffrey sattelte die Pferde, und wir machten uns gen Norden, nach Middleham auf. Viele der Bediensteten aus Bisham ritten mit uns, weil sie sich fürchteten, ohne den Schutz ihres Herrn in dem Haus zu bleiben. Auf dem Weg kamen wir an Kaufleuten, Wollhändlern und Farmern vorbei, die ihr Vieh zum Markt trieben. Allerorten hörte man lauter denn je Zweifel daran, dass Henry der Vater von Prinz Edward war, und immer häufiger wurde die Königin mit Warwicks Spitznamen für sie tituliert: »die Kuh von Anjou«. Viel von dem Gerede drehte sich um die Ballade, die man an die Kathedralentür von Canterbury genagelt gefunden hatte und laut der Prinz Edward die Ursache aller Probleme sei: der falsche Erbe, hervorgegangen aus der falschen Ehe. Der Duke of York sei der wahre König von England, hieß es in den Versen, denn sein Blut – er war der Nachfahre eines älteren Sohnes von Edward III. und Henry der eines jüngeren Sohnes – sei königlicher.
Die Sonne ging unter, als wir zwei Tage später nach einer anstrengenden Reise Middleham erreichten. Maude und Countess Alice begrüßten mich mit der freudigen Mitteilung, dass Warwick sicher in Calais und der Duke unversehrt in Irland angekommen seien, womit ein Teil meiner Anspannung schwand. Nach dem Abendessen – ich hielt die schlafende Annie in meinen Armen, Ursula trug Izzie – setzten wir uns mit der Amme und der kleinen Lizzie sowie mehreren
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