Die Herrin des Labyrints
verschiedenen Berechnungen anstellen. Es wäre schon ganz nett, wenn du mitkommen würdest. Dann kann ich mich wenigstens auf einen wohlwollenden Zuschauer verlassen, der die anderen zum Beifall animiert. Ich werde nämlich für die alten Herrschaften tanzen.«
»Was macht dich meines Wohlwollens so sicher, Amanda?«
»Deine kindliche Liebe, mein Sohn.«
»Großer Gott, auch das noch!« Patrick verdrehte theatralisch die Augen und strahlte mich dann an. »Wirst du mit dem Hintern wackeln und den Rock verlieren?«
»Ich werde weder den Schleier in die Sahnetorte stippen noch akrobatische Bodenübungen veranstalten. Ich denke, ein bisschen mehr als Nicole kann ich schon.«
»Die kommt gar nicht mehr her in der letzten Zeit. Habt ihr euch gestritten?«
»Eigentlich nicht, aber es scheint keine gemeinsamen Interessen mehr zu geben. Eigentlich schade. Ich werde sie mal wieder anrufen.«
Am nächsten Morgen fand ich mich pünktlich bei Halima ein. Es war etwas kühler geworden, und über den Himmel zogen dicke, regenschwere Wolken. Dennoch sah ich nach einer halben Stunde wie eine gebadete Maus aus. Nach einer Stunde machte es mir nichts mehr aus, nach der zweiten hatte ich nur noch Durst.
»Pause, Amanda. Hier ist der Tee. Hast du deine Erdungsübung gemacht?«
»Nein, noch nicht.«
»Dann mach sie gleich. Danach gibt es noch etwas Ritualkunde.«
Ich trank meinen Tee – heißer Pfefferminztee, der stark gesüßt war, was mich wunderte, denn Halima nahm selten Zucker. Aber er gab mir neuen Antrieb. Ich widmete mich also dem mentalen Training und versuchte, aus eigener Kraft die Verbindung zur Erde herzustellen und wieder zu lösen. Es gelang mir einigermaßen gut.
»Schön. Mach es ruhig jeden Tag ein paarmal. Es schadet nichts und kann ganz erholsam sein. Jetzt zu dem, was du für das freie Tanzen brauchst. Wir müssen für dich eine symbolische Handlung finden. Sie muss dir erlauben, innerhalb ihres Rahmens das Bewusstsein zu wechseln. Priester aller Religionen tun das durch das Anlegen ritueller Kleidung. Manche machen daraus ein pompöses Zeremoniell, andere legen sich lediglich eine Stola um oder setzen sich einen Hut auf. Schauspieler machen so etwas Ähnliches,wenn sie in das Kostüm desjenigen schlüpfen, den sie verkörpern wollen. Bring morgen bitte dein Kleid mit, damit wir etwas ausarbeiten können. Für heute tut es das Hüfttuch, das du trägst.«
Ich hatte versprochen, ihren Anweisungen zu folgen, aber ein bisschen lächerlich kam ich mir doch vor, als ich mit Bedacht und Umständlichkeit das Tuch faltete und entfaltete, komplizierte Knoten band und dabei Formeln in gepflegtem Hocharabisch murmelte, deren Sinn mir verborgen blieb. Nachdem ich das Ritual bestimmt zwanzig Mal wiederholt hatte, sah ich Patrick in das Studio kommen.
»Ich hab’ den späteren Bus genommen. Habt ihr schon auf mich gewartet?«, fragte er, und erst da wurde mir klar, dass es bereits halb zwei geworden war.
Halima bat uns beide mit in ihre Wohnung und servierte uns einen köstlichen Salat und frische Brötchen. Das Gespräch plätscherte dahin, und ich nutzte die Gelegenheit, mit offenen Augen zu schlafen.
»Aufwachen, Amanda. Es geht weiter.«
»Wie lange heute Nachmittag?«
»Bis um fünf. Um sechs fangen die Kurse an.«
Wieder waren fast zwei Stunden Tanztechnik, Schrittfolgen und Isolationsübungen fällig, und ich verzweifelte fast an meiner Unfähigkeit, nichts außer meinem Bauch vom Zwerchfell bis zum Nabel zu bewegen, um damit eine gefällige Wellenbewegung zu erzeugen.
»Das kommt schon noch«, war der einzige Trost, den ich erhielt. »So, zum Schluss dein Lieblingsstück. Welches ist es?«
»Ah, dieses Trommelsolo. Aber ob ich …«
»Du kannst. Und zwar jetzt mit allem Zeremoniell.« Erstaunlicherweise hatten meine Finger den rituellen Umgang mit dem Tuch behalten, und auch die ungewohnten Worte waren noch da. Das Einzige, was mir nicht gelang, war das ekstatische
Tanzen.
»Jetzt geht gar nichts mehr«, maulte ich und warf das Tuch frustriert in die Tasche.
»Hol es raus. Das Ganze noch mal von vorne.« Es war eine Pleite. Ich durfte noch mal alles wiederholen. »Du, dein Kurs fängt gleich an.«
»Das macht nichts. Noch mal. Du müsstest es gemerkt haben – alles, was mit einem Ritual zusammenhängt, muss mit Respekt behandelt werden.«
Ich bemühte mich um respektvolles Falten und Knoten und diesmal, vielleicht war es Zufall, tanzte ich mich in einen wenn auch nicht ekstatischen, so doch
Weitere Kostenlose Bücher