Die Herrin des Labyrints
verkrampft.«
»Ich hatte gedacht, meine Bewegungen seien inzwischen etwas lockerer geworden.«
»Du bist innerlich verkrampft, nicht körperlich. Du bemühst dich zu sehr, dich nicht den Gefühlen hinzugeben. Ja, ja, ich weiß«, unterband sie meinen Einwurf. »Wenn du dich hingibst, dann total. Du brauchst den Mittelweg zwischen solider, perfekter Technik und innerem Feuer. Das erlangt man aber nur durch Disziplin. Es gibt nicht viele, die die Fähigkeit zur absoluten Hingabe haben, Amanda. Es gibt einige mehr, die die perfekte Technik beherrschen. Es gibt nur ganz wenige, die beides miteinander verbinden können.«
»Kannst du es?«
»Selten. Ich kann es aber gut simulieren. Das ist aber etwas ganz anderes. Du könntest eine weitaus bessere Tänzerin werden, als ich es bin.«
»Wenn mir die Verbindung gelingt.«
»Richtig. Die Technik kann ich dir beibringen, und lass dich nicht von meinem Anspruch an Perfektion irritieren. Der gilt nur so lange, bis du deinen eigenen Stil gefunden hast. Wahre Perfektion erlangt man sowieso nie, und schon gar nicht in drei Wochen. Aber vor allem will ich dir auch Möglichkeiten zeigen, wie du den Kontakt zur Wirklichkeit behältst.«
»Wie, Halima? Ich glaube, das ist für mich im Augenblick wichtiger als alles andere.«
»Ja, das ist es wohl. Nun, du hältst den Kontakt durch eine rituelle Bindung.«
»Hör mir bloß mit Ritualen auf!«
»Amanda, der eigentliche Sinn des Rituals besteht darin, einen festgefügten Bereich um sich zu schaffen. Es ist etwas, zu dem man jederzeit zurückkehren kann, wenn man andere Welten besucht. Wenn man diesen festen Bezug nicht hat, passiert das, was dir geschehen ist, oder gar Schlimmeres. Du hast eine außerordentliche Begabung, dich in die geistige Welt zu versetzen. Dort herrschen Kräfte, die auf die unterschiedlichste Art auf dich einwirken können. Sie können einerseits Besitz von dir nehmen, andererseits kannst auch du sie nutzen, wenn du die Disziplin dazu hast. Dann wird dir die Verbindung von Technik und göttlichem Funken gelingen. Es kann deinen Tanz zu einem inspirierten Kunstwerkmachen, dem sich keiner entziehen kann. Und, Amanda, das gilt nicht nur für Tänzer, das gilt für jeden Künstler.«
»Was also soll ich tun?«, seufzte ich, denn die Erklärung war nun mal einleuchtend.
»Es gibt verschiedene Möglichkeiten, und du solltest sie ausprobieren. Dann weißt du, welche dir am besten hilft. Du hast gestern eine sehr alte Technik angewendet, um im Hier und Jetzt zu bleiben, nicht wahr?«
»Gestern?«
»Nun ja, da hast du dich auch vor dem Abgleiten geschützt. Der handfeste Kontakt mit einem Baum ist eine der üblichen Formen, wie man sich erdet. Aber bei einem Auftritt hat man ja nicht immer einen Baum zur Hand. Darum stellt man sich ihn vor. Auf die Füße, Amanda.«
Ich erhob mich und musste mich mitten in den Raum stellen. »Schultern breit, Knie leicht gebeugt, den Schwerpunkt des Körpers unterhalb des Nabels, grader Rücken, Schultern zurück, Kopf hoch.«
»Grundhaltung?«
»Nicht ganz. Jetzt schließ die Augen und wiege dich hin und her. Gut so. Jetzt werde fest, verbinde dich mit dem Boden unter dir. Das ist eine mentale Übung. Wenn du ein Bild brauchst, dann stell dir vor, du seiest ein Baum, der tief in der Erde wurzelt.«
Es war etwas ungewohnt, aber nach und nach wurde ich ruhiger, es sprossen feine Wurzelfädchen aus meinen Füßen, verankerten sich im Boden, wuchsen tiefer und tiefer, und plötzlich spürte ich einen Strom von Kraft durch sie aufsteigen. Diese Kraft floss durch meine Beine, ergoss sich in meinen Unterleib und machte ihn schwer, sie füllte mein Herz und machte es leicht, sie wanderte hoch bis unter meine Stirn und hinterließ ein Strahlen hinter meinen Augen. Ich war ein kraftvoller Baum, und nichts konnte mich aus der festen Verankerung im Boden lösen. Das Gefühl war wunderbar und sicher.
»Lass die Kraft wieder in den Boden fließen.«
Ich wollte es eigentlich nicht, aber Halima ließ nicht zu, dass ich mich ihr widersetzte. Die Energie sank hinab durch das Wurzelwerk,die Wurzeln zogen sich zurück, und ich konnte mich wieder von der Stelle lösen.
»Übe das jeden Tag, Amanda. Aber verliere dich nicht darin. Du musst die Disziplin aufbringen, sowohl in diesen Zustand hineinzukommen als ihn auch jederzeit aus eigener Kraft beenden zu können. Oder anders gesagt, du musst die Fähigkeit beherrschen, dein Bewusstsein willentlich zu verändern. Es gibt Leute, die sagen,
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