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Die Herrin des Labyrints

Die Herrin des Labyrints

Titel: Die Herrin des Labyrints Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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nicht. Selbst wenn ich dazu die Hilfe einer Menschenfrau benötige.«
    Und siehe da, im Zentrum des Labyrinths saß eine junge Frau,die so ganz den Vorstellungen der Göttin entsprach. Sie war mutig und schön, und sie verband Weitblick mit Kraft und Liebe. Sie besaß Souveränität und Leidenschaft, verflochten mit einer beharrlichen Zielstrebigkeit. Die Göttin näherte sich ihr, und als sie bei ihr war, erkannte sie sie. Die, die hier saß, war ihr seit Äonen geweiht. Die weiße Strähne im Haar verriet ihre Zugehörigkeit zu der langen Reihe derer, die die Göttin liebten. Sie, die hier in der Mitte auf sie wartete, würde diejenige sein, die ihr endlich das Opfer brachte, das sie nun mit Macht begehrte. Naschhaft leckte sich die Göttin die Lippen, und mit zarter Hand berührte sie die in Gedanken versunkene Frau und schenkte ihr das Wissen um ihre Gegenwart.

Teil III

    EIN ABENTEUERLICHER WEG ZURÜCK

KAPITEL 64

    Im Zentrum
    Henry beabsichtigte, bis zum folgenden Wochenende zu bleiben und dann zusammen mit Patrick nach Norddeutschland zu fahren. Gemeinsam wollten sie sich dort das Internat ansehen. Die Aufnahme war geregelt, und zur Freude meines Sohnes hatte sich gezeigt, dass die Ferien in dem nördlichen Bundesland noch zwei Wochen länger dauerten als bei uns. Halima war wieder auf den Beinen, aber sie schonte sich noch etwas. Da sowieso die meisten Kursteilnehmerinnen in Urlaub waren oder bei dem wundervollen Wetter keine Lust zu Übungsstunden im Studio hatten, ließ sie den Unterricht ausfallen und traf sich häufig mit Henry. Patrick streunte mit seinen Freunden in der Gegend herum und kam am Mittwochmittag mit der Nachricht hereingestürmt: »Übrigens, wenn du mal ein echtes Labyrinth sehen möchtest, wir haben eines vor der Tür!«
    »Wo hast du das entdeckt?«, fragte ich, durchaus interessiert, denn möglicherweise zündete der direkte Kontakt damit ja den entscheidenden Geistesblitz bei mir.
    »Der Maisbauer oben am Gutshof hat sein Feld so hergerichtet. Er will aber Eintritt haben.«
    »Ist doch wohl verständlich, er hat ja auch die Arbeit damit. Wollen wir es uns zusammen ansehen?«
    »Ich war schon mit Timo drin.«
    »Na, dann gehe ich alleine. Verirren werde ich mich ja nicht.«
    »Genau! Aber es sind elf Umgänge, und das ist eine ziemliche Strecke.«
    »Ich werde schon nicht zusammenbrechen.«
    »Nein, wahrscheinlich nicht.«
    Aber anstrengend war es dennoch. Es gab an diesem heißenNachmittag keine weiteren Besucher außer mir, und zwischen den übermannshohen Maispflanzen, die dicht an dicht standen, war es beinahe absolut still. Manchmal raschelte es rechts oder links, wenn ein kleines Getier vor meinen Schritten davonhuschte. Ein sehr schmaler Pfad war zwischen den dicken Halmen freigelassen worden, und mit ihren scharfkantigen grünen Blättern machte das Feld einen beinahe dschungelartigen Eindruck auf mich. Die feuchtwarme Luft stand dazwischen, es war stickig, und obwohl ich nach einer halben Stunde noch immer nicht die Mitte erreicht hatte, lief mir bereits der Schweiß in die Augen. Natürlich wusste ich, ich würde irgendwann zum Ziel kommen, aber die Orientierung hatte ich vollkommen verloren, da die Windungen immer wieder die Richtung des Weges veränderten. Ein wenig beklemmend war es wirklich, und ich war froh, als ich schließlich den freien Kreis im Inneren des Feldes erreicht hatte. Hier lud eine hübsche schmiedeeiserne Bank zum Ausruhen ein, und ich nahm dankbar darauf Platz.
    Mit geschlossenen Augen genoss ich die Ruhe und die warmen Sonnenstrahlen. Hier in der Mitte des Labyrinths kamen meine Gedanken zur Ruhe und ordneten sich neu. Manches entwirrte sich einfach, anderes verzweigte sich neu, vieles wurde mir klarer und einige erstaunliche Perspektiven taten sich auf. Während ich so still dasaß, spürte ich plötzlich Gitas Gegenwart. Sie schien ganz nahe zu sein, und sie forderte mich auf, Bilanz zu ziehen. Ich tat es in stummem Zwiegespräch mit ihr und berichtete, was das vergangene Jahr für mich gebracht hatte.
    Es waren schleichend, aber doch unaufhaltsam, gravierende Veränderungen in meinem Leben eingetreten. Sicherlich am deutlichsten konnte ich das an meiner Beschäftigung festmachen. Ich hatte endlich den Mut gefunden, den Beruf aufzugeben, in den ich durch die Umstände, nicht aber durch Neigung geraten war. Aber obwohl ich auch mein Studium zu Ende gebracht hatte, war ich mir nicht sicher, was ich an diese Stelle setzen wollte. Dann hatte ich einer

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