Die Herrin des Labyrints
meiner bislang mühsam unterdrückten Neigungen nachgegeben und angefangen zu tanzen. Das war zumindest ausgesprochen befriedigend, aber auch hier musste ich sicher darübernachdenken, in welcher Form ich es weiter betreiben wollte. Vielleicht gab es Möglichkeiten, das eine mit dem anderen zu verbinden? Ich nahm mir vor, in den nächsten Wochen zu diesem Thema zu recherchieren, und wandte mich dem nächsten Punkt zu. Die Frage, die mich mein Leben lang gequält hatte, war gelöst. Ich kannte jetzt endlich meine Wurzeln, ich wusste, zumindest von Abstammung her, wer ich war. Nichtsdestotrotz war hier noch ein loses Ende zu knüpfen, das mit dem Namen verbunden war, um den sich noch ein Geheimnis hüllte. Aber wäre es denn so furchtbar, wenn ich ihn nicht herausfinden würde? Im Moment hielt sich meine Neugier in Grenzen, es gab lebenswichtigere Dinge zu regeln. Ich vermeinte, Gitas Kichern zu hören, aber ich spürte auch eine unbestimmte Warnung. Nun gut, vergessen war dieser Punkt nicht.
Ich wandte mich dem Thema Beziehungen zu. Aus Bequemlichkeit berichtete ich ihr zunächst über die zu meinen Freunden. Hier waren im letzten Jahr wirklich Umbrüche erfolgt. Nicole, die ich lange Zeit für eine wirkliche Freundin hielt, hatte sich immer weiter von mir entfernt. Oder ich mich von ihr. Als ich sie kennengelernt hatte, hatte ich mich über ihr Interesse und ihre Anteilnahme an meinen Schwierigkeiten gefreut, und ich hatte sie gerne erwidert, auch wenn mir manche Züge an ihr nicht so lagen. Die hatte ich einfach ignoriert und als liebenswürdige Schrulligkeit abgetan. Etwa ihr fester Glaube an verschiedene esoterische Richtungen und magische Praktiken, ihre überwältigende Ausdrucksweise und die überschwänglichen Schmeicheleien, ihr geradezu fanatischer Wunsch nach Harmonie, ihre unkritische Einschätzung, was ihre eigenen Leistungen betraf, und ihre Empfindlichkeit, wenn nur die leiseste Kritik geäußert wurde. Sie hatte aber wirklich liebevoll und umsichtig für Gita gesorgt, hatte ordentlich und genau ihre Aufgaben erledigt, und bis auf ihre Unpünktlichkeit im privaten Bereich war sie auch sehr zuverlässig. Außerdem konnte sie hin und wieder herrlich albern sein. Das und vor allem ihre hemmungslose Bewunderung hatten mir gerade in der Phase meines grauen Lebens sehr geholfen. Aber dann endete unsere gemeinsame Verantwortung für Gita, und nach und nach rücktendie Eigenschaften, über die ich zuvor hinweggesehen hatte, in den Vordergrund. Ihre Schmeicheleien klangen unecht, ihre bombastische Redeweise ging mir auf die Nerven, ihre Mimosenhaftigkeit machte mich ungeduldig, und ihre Witzeleien schienen sich immer häufiger zu wiederholen.
Unbehaglich rutschte ich auf der Bank hin und her und stand schließlich auf, um eine Runde entlang der Maispflanzen zu gehen. Lag es an mir, dass diese Freundschaft zu Bruch gegangen war? War ich zu intolerant geworden? Zu arrogant? Unglücklich zerrupfte ich eines der zähen Blätter. Aber ein leiser Windhauch streifte zärtlich meine Haare, und mir öffnete sich auch eine andere Sichtweise auf dieses Problem. Nicole hatte mir helfen wollen, und sie hatte mir auch geholfen, als ich unglücklich und deprimiert war. Seit ich darüber weggekommen war, endete die Freundschaft. Ja, Nicole hatte sogar einen regelrechten Hass entwickelt. Auf mich und auf Halima. Der soweit ging, dass sie ihr Schaden zugefügt hat. Nein, die Entfremdung zwischen uns war nicht ausschließlich meine Schuld. Ich hatte mich weiterentwickelt und brauchte Nicoles Hilfe nicht mehr. Das hatte sie mir übelgenommen. Schade, aber manchmal gibt es keinen Weg mehr zurück. Wie auch bei Ulli. Hier war das Gleiche geschehen. Er war mir Hilfe, als ich unsicher und einsam, antriebslos und müde war. Dass ich stärker wurde, hatte er nicht ertragen. Ich musste lächeln. Gita würde mir jetzt sicher einen ihrer abgründigen Blicke schenken und bemerken, dass das die Schattenseiten des persönlichen Wachstums sind. Man löst Bindungen. Man tut auch anderen weh damit.
Halima – auch sie war so ein Ereignis des letzten Jahres. Eine Freundin, an der ich mich aufgerieben hatte, die mein Vertrauen auf die Probe gestellt, mich an meine Grenzen geführt und die seltsamsten Fähigkeiten in mir geweckt hatte. Sie hatte sich selbst nicht dabei geschont, und ich empfand inzwischen hohe Achtung vor ihr. Vor ihrer Ehrlichkeit, ihrer Grausamkeit und ihrer Güte, vor allem aber vor ihrer Klugheit, mir nie mehr zu geben, als
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