Die Herrin des Labyrints
stark gewachsen. Ich war gespannt, wie Halima mit ihr zurechtkommen würde.
»Freitanz!«
Die Aufforderung, endlich nach eigenem Gutdünken tanzen zu dürfen, wurde hier mit Begeisterung aufgenommen, und zehn Frauen begannen, sich gefühlvoll zur Melodie zu wiegen. Halima berührte mich leicht an der Schulter.
»Du nicht, Amanda. Oder besser, noch nicht.«
Mir war das nur recht, und ich setzte mich zum Zuschauen aufeinen der Diwane. Halima nahm ebenfalls Platz, aber mit dem Rücken zu den Tanzenden.
»Sie sollen wenigstens zehn Minuten unbeobachtet herumexperimentieren können«, erklärte sie und fragte dann: »Ich nehme an, du möchtest mit deiner Freundin zusammen in einem Kurs bleiben?«
»Doch, ja. Das wäre schon nett.«
Ich beobachtete Nicoles Gezappel und ahnte, was jetzt kam.
»Ich möchte dich nicht gerne in einen Anfänger-Unterricht schicken …«
»Aber Nicole täte das ganz gut, meinst du.«
»Aus verschiedenen Gründen. Ihr beide solltet nicht zu viel zusammen sein. Das Mädchen ist noch sehr unfertig. In vielen Dingen.«
Obwohl das natürlich auch mein Eindruck war, mochte ich Nicole wirklich. Sie war warmherzig und eine großzügige und hilfsbereite Freundin. Mir gefiel es auch nicht, dass Halima sich in meine sehr privaten Angelegenheiten einmischen wollte.
»Ich denke, das beurteile ich am besten selbst«, sagte ich deshalb kühl und wollte mich zum Umziehen abwenden.
»Tu das, Amanda, aber nimm bitte keine – mh, seltsamen – Ratschläge von ihr an.«
»Solche Ratschläge, Halima, nehme ich von niemandem an.«
»Auch von mir nicht. Ja, ich habe dich schon verstanden. Man kann nicht viel tun, wenn das Vertrauen fehlt. Aber ich mache dir trotzdem das Angebot noch mal: Wenn du über etwas reden möchtest, was dich bedrückt, dann werde ich dir zuhören. Und wenn dir eine kluge Frage zu Josiane einfällt, dann werde ich dir helfen, die Antwort zu finden.«
Halima war aufgestanden und hatte wieder ganz leicht die Hand auf meine Schulter gelegt. Ihre Armreifen klingelten leise. Ich machte mich von ihr los, sie wurde mir immer unheimlicher.
»Ich wünsche dir bessere Träume, Amanda«, fügte sie dann noch hinzu, und mir schien ihr Lächeln in diesem Moment regelrecht spöttisch. Dann drehte sie sich um und winkte Nicole zu, mit ihr in das Büro zu kommen.
Als ich mich umgezogen hatte, wartete ich, bis die beiden fertig waren. Wenige Minuten später kam Nicole heraus, und an ihrem Gesichtsausdruck sah ich, dass das Gespräch nicht besonders gut gelaufen war.
»Gehen wir.«
Nicole schwieg, was an ihr ungewöhnlich war. Erst als wir bei mir angekommen waren und vor einem Glas Wein saßen, ließ sie ihrer Wut freien Lauf.
»Die sieht mich nie wieder! Das kannst du vergessen! Die ist ja das Letzte an Lehrerin! Ihr scheint’s ja wohl wirklich zu gut zu gehen. Keinen Pfennig bekommt sie von mir! So einen Unterricht brauche ich nicht!«
»Brems dich, Nikki, was ist passiert?«, fragte ich sie, obwohl ich es mir denken konnte. Wie unklug von Halima! Erst mischte sie sich unnötig in meine Angelegenheiten ein, und dann hatte sie auch noch das Mimöschen Nicole gnadenlos niedergemacht, indem sie ihr angeboten hatte, den Basiskurs zu besuchen. Besaß diese Frau denn gar keine Menschenkenntnis? Ich hörte mir an, welch vernichtendes Urteil Halima abgegeben hatte. Allerdings siegte hier mein Gerechtigkeitssinn. Wenn Halima einen bestimmten Standard in der Ausbildung halten wollte, dann konnte sie kaum anders handeln. Sie war ja auch eine anerkannte Künstlerin und trat mit ihren Schülerinnen bei öffentlichen Veranstaltungen auf. Also gab ich keine Kommentare zu Nicoles Lamento ab, sondern suchte nach einer Ablenkung. Sie kam auch sogleich in Form einer weißen Katze, die neugierig in das Zimmer trippelte.
»Wie süß! Goldig! Wo ist die denn her? Du hast mir ja gar nicht erzählt, dass du eine Katze hast.«
Die nächste halbe Stunde war gerettet und Halima vergessen. Dann aber lenkte ich das Gespräch wieder auf mein eigentliches Anliegen.
»Du hast doch so ungefähr vor drei Monaten einen Zauber für mich gemacht, Nicole. Sag mal, kann es sein, dass so etwas Nebenwirkungen hat?«
»Nein, eigentlich nicht. Was für Nebenwirkungen machen sich denn bemerkbar?«
»Schlechte Träume und quälende Erinnerungen.«
»Das verstehe ich nicht. Da dürfte im Prinzip nichts schiefgegangen sein. Ich habe ganz liebe Göttinnen angerufen. Ishtar, Inanna, Demeter, Bastet – das bedeutet
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