Die Herrin des Labyrints
vermutlich nur so ein überlagertes Bild aus den Tagesresten. Schließlich hatte Halima mich ziemlich beeindruckt. Und hatte sie sich nicht sogar selbst als geheimnisvoll bezeichnet? Ein weiterer Verdacht kam auf einmal bei mir auf und war bezeichnend für meinen geistigen Verfall. Sollte das alles etwa mit diesem blödsinnige Ritual zusammenhängen, das Nicole für mich durchgeführt hatte? Ich hatte es schon beinahe vergessen, aber jetzt fielen plötzlich einige Puzzlesteine zusammen, denen ich zuvor keine Bedeutung beigemessen hatte. Natürlich war direkt nach diesem magischen Akt eine Wendung in meinem Leben eingetreten, und selbstverständlich waren ein paar Zufälle passiert, die jetzt, im Nachhinein betrachtet, durchaus einen Sinn ergaben. Sie hatten den Schlamm der Vergangenheitaufgerührt, sie hatten mich wieder in die Ekstase des Tanzens fallen lassen, und sie hatten mich zu Halima geführt. Entsetzt fragte ich mich, ob wirklich etwas an der Magie dran war. So ganz frei von Aberglauben schien ich wohl doch nicht zu sein. Ich nahm mir vor, mit Nicole darüber zu reden, wenn wir heute Abend vom Tanzen zurückkamen. In der Zwischenzeit widmete ich mich – wie in den vergangenen Tagen auch – wieder meinen alten Studienunterlagen, denn die Ferien endeten in der nächsten Woche. Sowohl Patrick als auch ich würden dann wieder die Schulbank drücken, denn zur Auffrischung meines theoretischen Wissens hatte ich auch einige Vorlesungen belegt. Dabei hatte ich allerdings versucht, möglichst viele dieser Stunden in die Vormittagszeit zu legen, damit Patrick nicht so oft alleine sein musste. Obwohl er behauptete, es mache ihm nichts aus. Aber die kleine Krise um Nefertiti hatte mir nur wieder gezeigt, dass manchmal mütterliche Präsenz ganz nützlich war, auch bei einem gestandenen elfjährigen Jungen.
Einigermaßen pünktlich erschien nachmittags Nicole. Ihre chronischen Verspätungen hatte ich dadurch auszugleichen gelernt, dass ich Termine mit ihr immer eine halbe Stunde zu früh ansetzte. Wie üblich sprudelte sie von Tageserlebnissen über, die ich weitgehend an mir vorbeiplätschern ließ, bis wir im Studio angekommen waren. Bis dahin war der Strom ein wenig versiegt, und ich fragte sie, ob sie anschließend noch etwas Zeit hatte, um mir ein paar Fragen zu beantworten.
»Natürlich. Worum geht’s? Neues von Josiane?«
»Nein, mehr um diese magischen Dinge.«
»Hast du was erlebt? Ist was passiert?«
Da wir gerade in den Vorraum des Studios traten, in dem sich schon etliche Frauen aufhielten, sagte ich nur: »Später«, und sah mich nach Halima um. Sie kam eben aus ihrem Büro auf uns zu, und im selben Augenblick packte mich das gleiche Gefühl wieder, das mich in meinem morgendlichen Traum so erschreckt hatte. Ich musste sie recht entsetzt angestarrt haben, so kam es zumindest mir vor, aber alles das dauerte wohl nur Bruchteile von Sekunden.
»Grüß dich, Halima. Ich habe hier eine Freundin mitgebracht, die auch gerne tanzt. Kann sie heute eine Probestunde bei dir mitmachen?«
»Natürlich, gerne. Du kannst dich dort umziehen. Nach der Stunde reden wir dann miteinander.« Sie schickte Nicole mit einer Handbewegung hinter den Paravent und sah mich dann ohne Lächeln an.
»Du siehst aus, als hättest du schlecht geschlafen. Möchtest du mit mir über irgendetwas reden?«
Ich schüttelte nur den Kopf, aber ihre Scharfsichtigkeit erschreckte mich. So schlecht sah ich doch auch wieder nicht aus, oder? Ein Blick in den Spiegel bestätigte das. Hatte Halima in der Tat andere Kenntnisse, die ihr meinen Zustand so deutlich machten? Plötzlich nagte Misstrauen an mir.
Die Stunde lief wie üblich ab, wir übten einzelne Schritte und Bewegungen und dann eine komplette Choreographie, die als Tanz jedoch noch ein wenig holperig wirkte. Halima korrigierte sachlich, aber ich merkte, dass sie sich speziell von Nicole ein Bild machte. So, wie meine Freundin tanzte, war das kein besonders positives. Leider beherrschte sie auch nach beinahe drei Jahren des Übens ihren Körper noch immer nicht richtig und schlackerte zwischendurch wenig anmutig und unkonzentriert mit Ellenbogen und Knien. Anfangs hatte ich sie, wenn sie neben mir stand, mit leise geflüsterten Hinweisen hin und wieder darauf aufmerksam gemacht. Aber dann hatte sie mich einmal dermaßen angefahren, dass ich inzwischen nichts mehr dazu sagte. Auch Kerstin hatte es aufgegeben, sie zu korrigieren. Dadurch war Nicoles tänzerisches Selbstbewusstsein
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