Die Herrin des Labyrints
Versprechen ins Bett, am nächsten Tag mehr zu berichten.
Viel Schlaf fand ich in dieser Nacht nicht, ich war zu aufgewühlt von all dem Erlebten, und den Montag über war ich ausnehmend fahrig. Aber ich machte einen Termin bei dem Notar aus, der über Gitas Testament wachte. Es war wirklich an der Zeit, mich um meine eigenen Rechte in dieser Sache zu kümmern. Gita war inzwischen beinahe ein Jahr tot, und irgendwann in den nächsten drei Monaten musste ich wohl ein Ergebnis meines Auftrags vorweisen.
Dr. Wentz war geneigt, mich am Donnerstag zu empfangen, und ohne große Überraschung in Bezug auf meine bisherigen Ermittlungsergebnisse zu zeigen, legte er mir auch geduldig dar, welche Bedingungen ich erfüllen musste, um mein Erbe anzutreten.
»Ein offizieller Nachweis ist natürlich unerlässlich. Aber ich denke, so etwas wird sich wohl in den Unterlagen des Krankenhausesfinden lassen, in dem Sie zur Welt gekommen sind. Es ist das gleiche gewesen, in dem Sie auch später aufgefunden wurden, nicht wahr?«
»So sagte es mir Frau Massoun.«
»Gut, das dürfte eine Frage der Zeit sein, bis Sie eine beglaubigte Abschrift dieser Unterlagen vorliegen haben. Meinen Glückwunsch, Frau Ellingsen-Reese. Ich hatte in der Tat recht große Zweifel daran, dass Sie diese Aufgabe bewältigen würden. Sagen Sie, haben Sie zufällig bei Ihrer Suche auch die Lösung dieses – ähm – seltsamen Rätsels gefunden?«
»Rätsel? Was für ein Rätsel?«
»Sie erinnern sich nicht? Diese Zeilen, die auf einen Begriff anspielen, der sozusagen das Codewort für das Erbe von der Mutter von Frau Halstenberg ist.«
Mir fiel plötzlich wieder das Gedicht von höchst undurchsichtigem Inhalt ein, das damals bei der Testamentseröffnung verlesen worden war, und nickte.
»Ich erinnere mich, dass da ein Rätsel war, nicht aber an seinen Wortlaut.«
»Ich kann Ihnen versichern, ich bin nicht sehr glücklich darüber, Frau Ellingsen-Reese. Derartig mysteriöse Bedingungen erleichtern meine Arbeit nicht besonders, und ich weiß leider auch nicht, was damit bezweckt wird. Aber wie dem auch sei, Sie gehören offensichtlich ja zur Familie, und darum gebe ich Ihnen hier eine Abschrift des Gedichtes mit. Vielleicht können Sie Ihren Angehörigen mit Ihren detektivischen Fähigkeiten ja bei der Lösung helfen«, schlug er mit einer Art knochentrockenen Humors vor.
»Da fische ich allerdings genauso im Dunkeln wie die anderen. Aber geben Sie es mir ruhig mit. Nur möchte ich wissen, was Gita damit bezwecken wollte?«, fragte ich weniger Dr. Wentz als mich selbst.
»Ich denke, es liegt daran, dass Sie dieses Erbe ihrer Mutter in einem bestimmten Sinn antreten sollen. Meine Mandantin hat ein paar sehr eigenwillige Lebensanschauungen gehabt, die ich nicht ganz nachvollziehen kann, aber respektieren musste.«
»Was verstehen Sie darunter, Herr Dr. Wentz? Ich meine, unter eigenwilligen Lebensanschauungen?«
»Ich will es vorsichtig ausdrücken: Ihre weltanschaulichen Überzeugungen waren ein wenig extravagant.«
»Und nicht eben christlich, ja, daran erinnere ich mich«, sagte ich und dachte an Gitas letzte Worte.
»So ist es. Mag sein, dass Ihnen das weiterhilft, aber sicher bin ich mir natürlich nicht. Ich kann Ihnen auch nicht raten, wo Sie zu suchen anfangen müssen. Die Verbindungen zu Josiane Hoffmanns Vergangenheit scheinen mir nur sehr dünne Fädchen zu sein. Vielleicht ist Ihnen diese Kairoer Freundin eine Hilfe.«
»Ja, vielleicht. Ich danke Ihnen jedenfalls. Ich melde mich auf jeden Fall, wenn ich die Unterlagen bekommen habe. Ich wäre Ihnen aber sehr verbunden, wenn Sie bis dahin über den Inhalt unserer Gespräches Stillschweigen wahren würden.«
»Aber das ist doch selbstverständlich, Frau Ellingsen-Reese.«
In Gedanken versunken verließ ich das Notariat. Ich hoffte, Halima würde bald Antwort von ihrem Bekannten aus Kairo bekommen, denn der Termin, zu dem ich spätestens meine Identität nachweisen musste, rückte näher und näher. Was allerdings das Rätsel anbelangte, so war meine Neugier jetzt geweckt. Vielleicht fügten sich die Fädchen ja zusammen, wenn ich noch etwas tiefer in die Vergangenheit meiner leiblichen Eltern eintauchte. Ich schickte vor allem Henry einen freundlichen Gedanken.
Als ich zu Hause ankam, beschloss ich, mir erst einmal den Wind um die Nase wehen zu lassen. Seit ich nicht mehr tanzte, hatte ich es mir zur Angewohnheit gemacht, am späteren Nachmittag immer mal eine Stunde mit dem Fahrrad zu
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