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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Dann hat er angeordnet, daß du am Leben bleiben sollst, und ich bin gern in deine Zelle gegangen und habe dich gepflegt.“ „Du hättest einen Haushofmeister schicken können.“
    „Ich habe doch gesagt, daß ich gern in deine Zelle gegangen bin“, sagte er nachdrücklich. „Trotz deines schweren Verbrechens und deiner himmelschreienden Undankbarkeit dem Einzig-Einen gegenüber verspürte ich noch viel Zuneigung zu dir. Warum, weiß ich auch nicht.“
    „Weil ich nicht wie die anderen war“, entgegnete ich. „Weil ich mich geweigert habe, mich unter die königlichen Schafe Seiner Majestät einreihen zu lassen. Weil ich mich nicht abschieben lassen wollte, nur weil ich einen Fehler gemacht und ihm ein Kind geboren hatte.“
    „Ich merke schon, du hast dich nicht viel verändert“, sagte er. „Du bist noch immer überheblich und scharfzüngig.“
    „Keineswegs, Amunnacht“, sagte ich leise. „Ich habe in meiner Verbannung Geduld und manch andere bittere Lektion gelernt. Und ich habe die Rache lieben gelernt.“
    Es herrschte Schweigen, während er mich ungerührt musterte, der Körper ruhig und ungezwungen, die ganze Haltung von unbewußter Selbstsicherheit geprägt, und ich blickte ihn unverwandt an. Da wich auch dieses schreckliche Gefühl, nicht ganz anwesend zu sein. Die Jahre zwischen meinem sechzehnjährigen Ich und dem augenblicklichen reihten sich wieder chronologisch aneinander, und ich konnte mit wiederkehrender geistiger Klarheit alles einordnen: die lampenerhellte Zelle, den Duft des unsichtbaren Rasens draußen, das stetige Gemurmel des Springbrunnens, den Mann, der mir gedankenverloren gegenübersaß. Irgendwo in diesem riesigen Gebäudekomplex schlief Hunro, doch nicht die Hunro, die ich gekannt hatte. In den Gemächern der Königinnen lag Ast. War sie noch immer so elegant und schön? Und Ast-Amasereth, diese gerissene und geheimnisvolle Fremde, die Staatsgeheimnisse mit ihrem Ehemann, dem Pharao, geteilt hatte, war sie noch am Leben? Die Zeit war auch hier nicht stehengeblieben, genauso wenig wie sie mich während dieser endlosen Jahre in Aswat verschont hatte. Ich hatte mich nicht in einer Zeitfalle verfangen, die Vergangenheit war für immer tot.
    Schließlich beugte ich mich vor, eine Frage auf den Lippen, doch da verdunkelte sich der Eingang, eine Dienerin trat ein, verbeugte sich vor dem Hüter der Tür und setzte ein beladenes Tablett auf dem Tisch neben mir ab. Die Zwiebelsuppe dampfte, auf dem warmen, braunen Brot zerfloß die Butter, die beiden Stücke gebratener Gans dufteten gar köstlich nach Knoblauch, und auf Blättern des frischen Salats, auf zerteilten Rettichen und Minzeblättern zitterten Wassertropfen. Die Frau entfaltete eine Serviette, bat leise und förmlich um Erlaubnis und legte sie mir auf den schmutzigen Schoß. Dann reichte sie mir eine Fingerschale, in der eine einzige rosige Blüte schwamm. Als ich mir die Finger abgespült hatte, goß sie eine braune Flüssigkeit in einen Tonbecher, stellte ihn neben mich und nahm ihren Platz hinter meinem Stuhl ein, von wo aus sie mir aufwarten wollte. Doch Amunnacht bedeutete ihr, sich zu entfernen, und sie verbeugte sich und verließ uns so geräuschlos, wie sie gekommen war. Ich griff nach dem Becher, und mir schnürte sich die Kehle zusammen, Tränen stiegen mir in die Augen. „Das ist ja Bier“, sagte ich mit belegter Stimme. „Du hast nicht vergessen, daß ich eine Vorliebe für das Getränk meiner Kindheit habe.“
    „Ich bin ein hervorragender Hüter der Tür“, sagte er ungerührt. „Ich vergesse nichts, was den Nebenfrauen des Pharaos Freude bereiten könnte. Iß und trink jetzt. Das Essen ist vorgekostet.“ Bei der nachdrücklichen Mahnung an all die Gefahren, die hier lauerten, wo jeder Luxus als selbstverständlich hingenommen wurde und wo sich hinter Wohlbehagen und Wohlleben die finstersten
    Leidenschaften verbargen, änderte sich meine Stimmung. Ich saß da, umfaßte den Becher mit beiden Händen und blickte Amunnacht in die Augen.
    „Warum bin ich hier, in dieser Zelle, und nicht auf einem elenden Strohsack unter einer Küchenbank?“ fragte ich. „Hat der Prinz dir befohlen, daß du mich so empfängst, damit mir mein allerletzter Bestimmungsort um so bitterer wird?“ Er bewegte sich kaum, sondern strich sich nur mit einem sorgsam gepflegten Fingernagel über die Braue.
    „Ich habe die Namenliste gesehen, die du dem König bei deiner damaligen Verhaftung hast zukommen lassen“, sagte er.

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