Die Herrin Thu
Strafe von einem Prinzen festgesetzt wird, dessen Annäherungsversuche ich einst abgewiesen habe und der dazu beigetragen hat, daß man mich zum Tode verurteilte, dachte ich verzweifelt. Im Harem bietet sich keinerlei Gelegenheit, noch einmal mit ihm zu sprechen. Dort gehe ich in dem Meer gesichtsloser Frauen unter, und dann bin ich für immer verloren, während er stillvergnügt lächelnd über die Ironie des Schicksals nachdenkt.
Doch als der Hauptmann so meine Hand hielt, faßte ich mich allmählich und war imstande, mich aufrecht hinzusetzen. „Du hast recht“, sagte ich mit bebender Stimme. „Verzeih mir. Ich bin sehr müde.“ Anstatt mir zu antworten, stand er auf, ging zur Tür und bellte einen scharfen Befehl.
„Ich lasse dich am besten in einer Sänfte in den Harem bringen“, sagte er. „Hier ist deine Eskorte. Es ist Zeit, zu gehen.“
Ich mußte mich auf den Schreibtisch stützen, sonst wäre ich nicht hochgekommen, und dann stand ich mit schlotternden Knien auf und wäre zu gern in dem kahlen Raum geblieben, der für mich in so kurzer Zeit zu einem Hafen der Geborgenheit geworden war. Hinter der Tür wurde eine Fackel entzündet, und ich sah eine Sänfte auf der Erde stehen, deren schwere Wollvorhänge hochgezogen waren und deren Inneres gähnte wie ein dunkler, zahnloser Mund, der mich verschlingen wollte. Mein Lebenskreis hat sich also geschlossen, dachte ich niedergeschlagen. Doch dieses Mal komme ich in einer schlichten, gewöhnlichen Sänfte als Gefangene in den Harem, und ich muß mich von einem Soldaten verabschieden, nicht von einem Seher. So treiben die Götter ihr Spiel mit uns. Der Hauptmann wartete mit ausgestrecktem Arm an der Tür. Ich brauchte einen Augenblick, um mich aufzurichten, tief einzuatmen und das Kinn zu recken. Dann ging ich an ihm vorbei und drückte ihm dabei die Hand. „Hab Dank für deine Freundlichkeit“, sagte ich.
„Mögen die Götter dir beistehen, Thu“, erwiderte er, und dann schloß sich die Tür hinter ihm. Ich will keine Götter, die mir beistehen, dachte ich aufsässig, als ich in die Sänfte kletterte und den Vorhang herunterließ. Im Himmel gibt es keine Gerechtigkeit. Sollen sie sich doch ein anderes Opfer suchen, an dem sie ihre grundlose Bosheit austoben können, und mich in Ruhe lassen.
Die Sänfte wurde hochgehoben und setzte sich in Bewegung. Ich spähte nach draußen in der Hoffnung, daß sie nicht gut bewacht wäre und ich mich vielleicht herausfallen lassen und fliehen könnte. Doch an jeder Seite ging ein Soldat mit gezücktem Schwert, und ich hörte, wie der Soldat vorneweg lautstark den Weg freimachte, und auch hinter mir knirschten Füße in Sandalen. Auf dieser Reise würde es keinen unvorhergesehenen Halt geben.
Die Sänfte hatte keine Kissen, nur einen harten Strohsack, an den ich mich anlehnen konnte. Ich rollte mich zusammen und machte die Augen fest zu, verdrängte die bedrohlichen Bilder von der Zukunft, die mich überwältigen wollten. Du bist am Leben, redete ich mir gut zu. Du hast so viel überstanden. Du kannst auch das hier überstehen. Die Verachtung der Frauen, die sich an mich noch als Beinahe-Mörderin erinnern, ist auch nicht schlimmer als der Haß der rechtschaffenen Dörfler in Aswat. Denk an Kamen, Thu. Denk an deinen Sohn.
Du hast einem Prinzen das Leben geschenkt, und nichts, was dir geschieht, kann etwas an dieser ruhmreichen Tatsache ändern. So rang ich um Zuversicht, während mein Herz vor Angst hämmerte, daß meine Gedanken davonflatterten, noch ehe ich sie zu Ende gedacht hatte.
Trotz meiner fiebrigen Gaukelbilder mußte ich eingenickt sein, denn ich wachte mit einem Ruck auf, als die Sänfte abgesetzt wurde. Der Vorhang wurde hochgehoben, und ein Gesicht, das von Fackelschein umgeben war, blickte mich prüfend an. „Steig aus“, blaffte der Soldat, und ich kletterte heraus. Ein anderer Soldat tauchte auf, man wechselte Worte, und Träger und Eskorte entfernten sich. Ich blickte mich um.
Ich stand auf dem großen, freien, gepflasterten Platz vor dem Haupteingang des Palastes, hinter mir die Bootstreppe und der Kanal. Rechter und linker Hand ragten hohe Bäume empor, deren schattenspendende Zweige sich über Rasenflächen breiteten, doch an den Säulen am Eingang waren so viele Fackeln angebracht, daß die reich verzierten Sänften, die wie hochgezogene Boote auf dem Pflaster ruhten, hell beleuchtet waren. Ihre Träger warteten geduldig, daß ihre Gebieter von einem königlichen Fest oder einer
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