Die Herrin Thu
„Seine Majestät hat mich gefragt, ob ich mehr darüber wüßte als er oder ob mir Gerüchte über Verschwörungen zu Ohren gekommen wären. Er war bekümmert, denn er hatte dich zum Tode verurteilt, doch Zweifel trübten seine erhabene Seele. Leider mußte ich ihm sagen, daß ich nichts über die auf der Liste Stehenden wüßte, jedoch nicht glaubte, daß du ihre Namen aus Bosheit und ohne Grund für deine Beschuldigung angegeben hättest. In seinem Erbarmen setzte der Einzig-Eine das Urteil aus, denn er wollte deine Behauptung bezüglich Hochverrats überprüfen. Er sagte, wenn du erst tot wärst und dann recht bekämst, könne er dich nicht wieder zum Leben erwecken und würde sich so der Maat gegenüber schwer versündigen.“
„Das hat er gesagt?“
„Ja. Also bist du verbannt worden. Aber zunächst hätte man dich noch für den Mordversuch an dem Vollkommenen Gott auspeitschen können, doch davon wollte er nichts wissen. Sein Zorn auf dich und sein Schmerz waren groß, aber er verspürte wohl auch Gewissensbisse, denn er hatte dich mehr als alle anderen geliebt und dich verstoßen. Er beauftragte den Prinzen, den Seher und die anderen zu überprüfen, aber der brachte keinen Beweis für ihre Schuld zutage.“ „Natürlich nicht!“ gab ich hitzig zurück. „Sie haben gelogen, ihre Diener haben gelogen, jeder außer mir hat gelogen!“
„Für eine Königsmörderin bist du ganz schön selbstgerecht!“ meinte er trocken. „Die Akte wurde geschlossen, doch der Pharao war nicht ganz davon überzeugt, daß es damit sein Bewenden haben würde. Als Vorsichtsmaßnahme hat er den Oberhofmeister Paibekamun zum Haushofmeister im Palast degradiert und ihn zum Vorkoster der Großen Königlichen Gemahlin Ast ernannt.“ Ich lachte schallend über diese köstliche Ironie des Schicksals. Paibekamun hatte mich von Anfang an nicht leiden können, hatte mich für gewöhnlich und unwissend gehalten, und ich freute mich, daß dieser hochnäsige Mensch einen solchen Schlag hatte hinnehmen müssen.
„Bin ich hier, weil ich gegen die Bestimmungen meiner Verbannung verstoßen habe, Amunnacht?“ fragte ich. „Soll ich für den Rest meines Lebens im Harem statt in Wepwawets Tempel dienen?“ Sein Gesicht verzog sich zu einem breiten, ungekünstelten Grinsen, und einen flüchtigen Augenblick lang sah ich einen Türhüter, den ich nicht kannte, einen humorvollen und fröhlichen Menschen.
„Nein, du Schlimme“, freute er sich. „Heute Abend hat sich hier Außergewöhnliches zugetragen. Drei Männer baten um eine Audienz beim Prinzen, als der sich gerade für den Bankettsaal fertig machte. Zu deinem Glück hat er eingewilligt. Dann hörte er eine Geschichte von mehrfachem versuchtem Mord und Verschwörungen aus Urzeiten, wie man sie hier noch nie gehört hat, und es gibt hier wahrlich genug Verbrechen und Gewalttaten.“ Ich setzte den Becher so hart auf dem Tisch ab, daß mir das Bier über die Hand schwappte.
„Kamen! Kamen hat unsere Sache dem Prinzen vorgetragen! Amunnacht, wo ist er jetzt?“ Der Hüter der Tür wurde wieder sachlich.
„Nein, Thu, es war nicht dein Sohn, der die fesselnde Geschichte erzählte. Es waren sein Adoptivvater Men, der Vater seiner Verlobten, Nesiamun, und der Schreiber Kaha.“ Ich biß die Zähne zusammen, denn eine böse Vorahnung überfiel mich.
„Warum war er nicht dabei? Ihm ist etwas Furchtbares zugestoßen. Ich weiß es! Paiis...“ Amunnacht hob mahnend die Hand.
„Paiis steht unter Hausarrest. Kamen wurde in seinem Haus in Ketten gefunden. Es ist ihm nichts zugestoßen, doch ich glaube nicht, daß er die Nacht überlebt hätte, falls der Prinz nicht so schnell eingegriffen und den General verhaftet hätte.“
„Das begreife ich nicht.“
„Alle, die vor so langer Zeit auf deiner Liste aufgeführt wurden, stehen unter Hausarrest, Thu, und man wartet auf einen Bericht aus Aswat bezüglich einer Leiche, die unter dem Boden deiner Hütte vergraben sein soll. Falls es sich so verhält, bist du entlastet. Du darfst dich im Harem frei bewegen, und man wird sich um Wiedergutmachung bemühen. Sowie seine Männer aus Aswat zurück sind, wird der Prinz dich empfangen.“
„Ich möchte meinen Sohn sehen!“
„Kamen ist in Mens Haus gebracht worden. Der Prinz wünscht nicht, daß du zur Zeit den Harem verläßt.“
„Aber Hunro ist hier, Amunnacht. Wenn sie weiß, daß ich auch hier bin, wird sie versuchen, mir etwas anzutun.“
„Du hast nicht richtig zugehört“, tadelte
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