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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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während ich mich zurücklehnte und die Augen schloß.
    Sie arbeitete still und methodisch, und als sie fertig war, reichte sie mir einen Kupferspiegel. Ich wollte mich nicht ansehen. Jahrelang war ich vor meinem Spiegelbild im Nil und in den Bewässerungskanälen, die Aswats Äcker begrenzten, zurückgeschreckt, ja, ich hatte mich nicht einmal im Wasser meines einzigen Bechers angeschaut. Die Dorfbewohner hatten den Blick von mir abgewandt, und ich hatte es gehalten wie sie. Das war nicht nur Eitelkeit. Ich wollte meine besudelte Seele nicht sehen und mich mit eigenen Augen verdammen.
    Doch jetzt nahm ich das elegante Gerät mit zitternden Fingern und hielt es hoch. Sie hatte mir die Lider über schwungvollen, schwarzen Kholstrichen silbern geschminkt und mir die Wangen mit Gold bestäubt. Meine Lippen leuchteten hennarot. Und mein dunkles, glänzendes, gezähmtes und schimmerndes
    Haar stellte den Rahmen dazu. Ich hielt den Atem an, und die Thu von einst, die junge, lebensvolle Thu, fing tief in meinem Inneren leise an zu lachen. „Ich komme jeden Tag wieder, solange du es wünschst“, sagte die Frau und begann, ihre Sachen zusammenzupacken. „Isis, sorg dafür, daß man Thu weiterhin mit Honig und Castoröl behandelt, und gib dazu noch ein wenig Myrrhe, damit die dunkle Farbe schneller verbleicht. Reib ihr jeden Abend Öl in die Hände und Füße, und laß sie nicht zu lange herumlaufen.“ Sie verbeugte sich feierlich vor mir und entfernte sich.
    Ihren Spiegel hatte sie vergessen, denn den hielt ich mir noch immer dicht vors Gesicht. Was wird der Pharao sehen? überlegte ich. Eine übel zugerichtete dreiunddreißigjährige Bäuerin oder eine schöne, prächtig herangereifte junge Frau? O ihr Götter. Ich warf Isis den Spiegel zu und griff nach meinem ersten Becher Wein. „Der Mann mit den Kleidern ist da“, sagte sie. „Möchtest du dich jetzt anziehen? Er hat auch einen Sonnenschirm mitgebracht. Der Hüter der Tür höchstpersönlich schickt ihn dir zusammen mit der Botschaft, du sollst nicht ohne seinen Schutz nach draußen gehen.“ Also glaubte auch Amunnacht, daß mich Ramses zu guter Letzt holen lassen würde, auch wenn er es geleugnet hatte. Ich nickte.
    „Laß ihn herein.“
    Die Gewänder, die der Mann aufs Bett legte, glichen Bächen aus irisierendem Wasser. Das Geschmeide - Ketten, Armbänder, Ringe, Knöchelkettchen, feine, zarte Haarreifen - glänzte und funkelte im Sonnenschein, der durch die geöffnete Tür fiel. Gold, Silber, Türkis, Jaspis, Karneol, Mondstein - sogar die Ledersandalen, die er sorgsam Paar um Paar auf den Fußboden stellte, waren dicht mit Edelsteinen besetzt. Ich näherte mich dieser Überfülle mit Ehrfurcht, betastete das Leinen zwölften Grades, das so fein war, daß meine noch immer rauen Hände es gar nicht richtig fühlen konnten. Isis und der Mann warteten, während ich ein kostbares Ding nach dem anderen aufhob und zurücklegte und dabei mit erstaunlicher Demut versuchte, lediglich ein Kleid und ein Paar Sandalen aus diesen Reichtümern zu wählen. Schließlich entschied ich mich für ein gelbes, mit Silberfäden gesäumtes Kleid und für Sandalen mit winzigen silbernen Trauben zwischen jedem Zeh, für goldene Armbänder mit türkisfarbenen Skarabäen für die Unterarme, und für den Hals wählte ich ein Pektoral aus aneinandergefügten goldenen Skarabäen. Zuletzt nahm ich mir ein Netz aus feinem Golddraht und setzte es mir auf den Kopf. Auf seinem Rund waren Ankhs eingraviert, die für mich den Beginn eines neuen Lebens symbolisierten. „Und was ist mit Ringen?“ fragte Isis, doch ich schüttelte den Kopf und spreizte die Finger, damit sie sie ansehen konnte.
    „Die taugen noch nicht für Schmuck“, sagte ich. „Sie sind dick und geschwollen. Vielleicht morgen.“ Der Mann sammelte seine Schätze wieder ein.
    „Das gelbe Kleid ist eine gute Wahl, Herrin“, sagte er. „Es steht dir.“ Ich bedankte mich bei ihm, und er hob seine Reichtümer hoch und entfernte sich. Ich drehte mich zu Isis um und wußte nicht, was ich nun tun sollte.
    „Was jetzt?“ fragte ich mehr mich als sie. „Ich möchte meinen Sohn sehen, aber das geht nicht. Abgesehen davon bin ich zufrieden. Wie lange wird es wohl dauern, bis die Soldaten des Prinzen aus Aswat zurück sind?“
    „Ich errichte dir ein Sonnensegel auf dem Rasen oder unter einem Baum“, schlug Isis vor. „Wir können Brettspiele spielen. Ich glaube nicht, daß es gut für deine Füße ist, wenn wir auf dem

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