Die Herrin Thu
„und wenn er die Rolle versiegelt hat, lege sie im Archiv zur Akte der Nebenfrau und Herrin Thu. Dann suchst du nach dem Königlichen Arzt Pra-emheb und bittest ihn, sich mit mir im Haremslager zu treffen.“ Amunnacht schenkte einen Becher Wein ein und reichte ihn mir. „Komm“, forderte er mich freundlich auf. „Wir müssen etwas warten. Laß uns auf die Zukunft trinken und den Göttern für ihre überreiche Güte danken. Irgendwo habe ich auch noch einen Teller mit Gebäck, wahrscheinlich altbacken, aber noch recht schmackhaft. Möchtest du etwas?“
Wir stießen an und tranken und knabberten Süßigkeiten, und als Amunnacht seinen leeren Becher laut auf den Schreibtisch stellte und mich unter Verbeugungen zur Tür geleitete, hatte ich mich wieder gefaßt.
Wir schritten durch einen friedlichen Abend zum Lager und fanden dort sowohl den Schreiber als auch den Arzt vor, die vor dem gähnenden Eingang auf uns warteten. Daneben stand ein Diener mit einer Lampe. „Alles ist so, wie du es angeordnet hast, Hüter der Tür“, antwortete der Schreiber auf Amunnachts Frage. „Ich habe den Prinzen im Garten bei seiner Frau angetroffen. Die Rolle ist versiegelt und liegt jetzt im Archiv.“ Ich seufzte innerlich vor Erleichterung und überlegte kurz, was sich Ramses wohl bei meiner Bitte gedacht haben mochte, meine Beteiligung an Hunros Selbstmord amtlich bestätigen zu lassen. Zweifellos erinnerte er sich an eine andere Rolle, in der mir eine Königinnenkrone versprochen worden war, ehe sie im richtigen Augenblick verschwand.
„Hat der Prinz etwas zu meinen Worten geäußert?“ Das mußte ich den Schreiber einfach fragen.
„Nein, Herrin“, erwiderte der. „Der Prinz hat, nachdem er sie gelesen hat, nur gesagt, daß alles so ist, wie es sein sollte.“ Eine zweischneidige und ganz und gar typische Antwort, dachte ich, dann drehte ich mich um, damit Amunnacht mich dem Palastarzt vorstellen konnte. Pra-emheb neigte den Kopf, doch in seinen Augen funkelte die Neugier.
„Behandelst du selbst den König?“ erkundigte ich mich, als wir alle in das Gebäude eintraten. „Wie steht es um seine Gesundheit?“ Pra-emheb schürzte die Lippen.
„Ich kümmere mich bei Tage um ihn“, erwiderte er. „Man kann nichts weiter für ihn tun, als ihm das Hinscheiden zu erleichtern. Ich glaube nicht, daß er noch lange zu leben hat. Er ißt nur noch etwas Obst, und auch das unter Schwierigkeiten, und will nur noch Milch trinken.“
„Steht er noch auf? Sitzt er neben seinem Lager? Hat er Schmerzen?“ Und sehnt er sich nach Huis kundigen Händen? hätte ich gern weitergefragt. Lebt er in der Vergangenheit, als mein Körper warm neben seinem lag und in seinen Adern statt der kalten und rätselhaften Säfte des Todes heißes Blut floß? Der Arzt zuckte mit den Schultern.
„Ab und an läßt er sich gern aufsetzen, aber die Anstrengung erschöpft ihn“, sagte er. „Ich glaube nicht, daß er große Schmerzen hat. Wir setzten seiner Milch Mohn zu. Die Familienmitglieder sind zwar bei ihm, doch inzwischen findet er mehr Trost bei den Priestern.“ Armer Ramses, dachte ich betrübt und schwieg, folgte dem Lichtschein der Lampe in der Hand des Dieners und Amunnachts königlichem, blau gekleidetem Rücken.
Als wir den Raum erreichten, in dem ich mir erst kürzlich Kräuter zum Mitnehmen ausgesucht hatte, blieben wir stehen. Der Schreiber setzte sich mit seiner Palette auf eine Bank und glättete ein frisches Blatt Papyrus. „Ich möchte, daß du einen Absud herstellst“, sagte ich zu Pra-emheb. „Ich sage dir, was du tun mußt, damit man mich nicht hinterher bezichtigt, daß ich heimlich Zutaten vertauscht habe. Ich muß dich bitten, die Liste, die der Schreiber aufschreibt, zusammen mit dem Hüter der Tür zu unterschreiben. Bist du einverstanden?“ Der Arzt legte die Stirn in Falten.
„Ich habe keine Ahnung, was ich hier soll“, begehrte er auf. „Um welchen Absud geht es? Du hättest auch ohne dieses ganze Aufhebens eine Arznei bei mir anfordern können, Amunnacht.“
„Die Herrin Thu ist eine erfahrene Heilkundige“, erklärte der Hüter der Tür ungerührt. „Der Prinz hat sie auf Drängen einer Verurteilten hin damit beauftragt, einen Gifttrank zuzubereiten, mit dem sich die Verurteilte das Leben nehmen kann. Verständlicherweise möchte sie, daß diese unerquickliche Aufgabe vollständig und richtig beurkundet wird.“
„Ach.“ Pra-emheb blickte mich ausdruckslos an. „Mein Mitgefühl, Herrin Thu. Was
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