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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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verändert und ihm deutlich sichtbar Frieden geschenkt hatte. Dabei wurde auch ich ganz friedlich und vergaß den widerlichen Auftrag, den Hunro mir aufgebürdet hatte, vergaß, daß ich mich bis zur Bewußtlosigkeit hatte betrinken wollen. Wir leerten den Wein und standen zusammen auf, eine sonderbare, flüchtige Gemeinsamkeit. Paiis legte mir die Hand auf den Nacken, bückte sich und gab mir einen Kuß, der mir warm und seltsam vertraut vorkam. „Falls du Hui jemals finden solltest, grüß ihn von mir“, sagte er, als er mich losließ, und da ging mir auf, daß mein Mund den seinen wegen seines Bruders wiedererkannt hatte. „O ja“, fuhr er fort. „Ich weiß, daß er noch lebt, aber nicht, wo er ist. Er stellt für die Sicherheit Ägyptens nämlich keine so große Gefahr dar wie ich. Ich habe das Gefühl, daß ihr beiden noch nicht miteinander fertig seid.“
    Wir waren zur Tür gegangen. Ich drehte mich nach meinem Begleiter um, und in diesem Augenblick legte Paiis Hände und Stirn an das massive Holz. „Ach, Freiheit“, murmelte er, und seine Stimme brach, und ich sah, wie er die Fäuste ballte, so sehr übermannte ihn das Gefühl. „Bete für mich, Thu, auf dem Schönen Fest im Tal. Rufe meinen Namen. Dann werden mich die Götter vielleicht finden.“ Es blieb nichts mehr zu sagen. Ich berührte seine Schulter, die noch rund und fest und lebenswarm war, und er entzog sich mir. Die Tür ging auf. Dieses Mal stand Isis bereit, und ich entfernte mich unverzüglich. Ich blickte nicht zurück.
    Nachdem ich die himmlische Geborgenheit meiner Zelle erreicht hatte, trank ich gierig, doch es war Wasser, nicht Wein, was ich mir durch die Kehle rinnen ließ. Dann legte ich mich auf mein Lager und weinte still und ohne Gefühlsausbrüche. Ich weinte nicht um Hunro oder Paiis, ja, nicht einmal um mich. Die Tränen kamen, weil das Leben war, wie es war, langweilig und hart für so manchen, voller Verheißungen und Wohlbehagen für andere, und für viele eine Reise voll unerfüllter Träume und zerbrochener Hoffnungen. Als ich mich ausgeweint hatte, schlief ich ruhig und wachte von selbst auf, als die Sonne im Westen unterging und Isis heiße Brühe und duftendes, frisches Brot brachte.
    Während ich aß, dachte ich darüber nach, welches Gift ich Hunro geben sollte. Ich überlegte so ruhig, wie es mir möglich war, und zwang mich, zwischen meine heftigen Gefühle und den rein sachlichen Erwägungen einen Abstand zu legen. Zum Zeitpunkt meiner eigenen Verhaftung hatte man mir den Kasten mit Arzneien, den Hui mir geschenkt hatte, zusammen mit den Rollen, in denen verschiedene Krankheiten und die Rezepturen dagegen aufgelistet waren, weggenommen, und während meiner Verbannung war es mir verboten gewesen, das Gewerbe auszuüben, in dem man mich so fachkundig und mit so katastrophalen Folgen angelernt hatte. Im Haremslager hatte ich vor kurzem einen Kasten mit Arzneien gefüllt, doch ich hatte nichts genommen, was sich als schädlich erweisen konnte. Während ich jetzt langsam speiste und mich auf das Kauen konzentrierte, gestattete ich mir, mich an die Dinge zu erinnern, vor denen ich so lange zurückgeschreckt war.
    Das war nicht leicht, denn ich mußte mich an die Umstände erinnern, unter denen ich sie erlernt hatte, und das allein war schon schmerzlich genug. Huis großes Arbeitszimmer und der kleine, angrenzende Kräuterraum, auf dessen Regalen sich Bord um Bord irdene Töpfe und Krüge, Steinfläschchen, pralle Leinenbeutel mit getrockneten Blättern und Wurzeln drängten. Ich selbst neben ihm mit gezückter Schreibbinse, während er mit Mörser und Stößel arbeitete, seine tiefe, ruhige Stimme, die mir erklärte, was er tat und warum. Der Duft der Zutaten auf den Borden, bei einigen so stark, daß ich davon Kopfschmerzen bekam, bei einigen nicht mehr als ein zarter Hauch von abgepflückten Blütenblättern, der sich angenehm mit Huis eigenem Parfüm, Jasmin, vermischte.
    Jasmin. Ich schob das leergegessene Geschirr beiseite, legte die Arme auf den Tisch und beobachtete, wie sich das goldene Lampenlicht in den feinen Härchen meiner Haut verfing. Gelber Jasmin konnte töten. Jeder Teil davon, Blüten, Blätter, Wurzeln, Stängel, alles war tödlich. Eine hohe Dosis wirkte schnell, erzeugte aber so unangenehme Begleitsymptome wie Angst und
    Krämpfe. Auch Alraune tötete, doch die Menge, die Hunros Leben beendete, würde ihr Qualen bereiten. Das wußte ich aus Erfahrung. Ein Ruck, und mein nachdenklicher Zustand

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