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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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schwarzen Mondschatten über meine Füße. Halb und halb hatte ich erwartet, sie in den Dünen tanzen zu sehen wie eine irre Göttin, doch sie lagen verlassen. Länger konnte ich nicht warten. Ich ergriff die zerfledderte Binsenmatte, die ihr als Tür diente, hob sie hoch und schlüpfte hinein.
    Ich wußte, wo sich ihre Pritsche befand, und brauchte nicht mehr als vier Schritte. Ihr Körper war leicht auszumachen, sie hatte einen Arm ausgestreckt, die Knie unter der Decke angezogen, und als sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, konnte ich auch ihr Gesicht halb verborgen in der Flut zerzauster Haare erkennen. Jetzt durfte ich nicht länger zögern und vielleicht den Mut verlieren, also bückte ich mich, legte ihr eine Hand auf den Mund, die andere auf die Schulter und drückte das Knie fest auf ihren vor mir liegenden Schenkel. Sie zuckte nur einmal wie im Krampf, und da wußte ich, daß sie sofort aufgewacht war, jedoch ruhig liegenblieb. „Bitte, keine Angst haben“, sagte ich und dämpfte meine Stimme zu einem Flüstern. „Ich will dir nichts Böses, aber du darfst auf gar keinen Fall losschreien. Kann ich meine Hand jetzt wegnehmen?“ Sie nickte heftig, und ich zog meine Finger fort. Sofort kam ihr Kopf hoch, und sie schüttelte meine Hand von ihrer Schulter ab.
    „Du kannst auch dein Knie wegnehmen“, zischte sie. „Es wiegt so schwer wie ein Felsbrocken. Erkläre dich schnell, sonst bin ich gezwungen, mich zu wehren.“ Rasch und vollkommen unbefangen setzte sie sich auf, stellte die Füße auf den Lehmboden, stand auf und nahm dabei die Decke mit, in die sie sich hüllte. Sie faßte nach dem Tisch und wollte einen Kerzenstummel anzünden, doch ich packte sie beim Handgelenk.
    „Nicht!“ flüsterte ich. „Kein Licht. Komm nach draußen, dort können wir ungestört reden. Ich möchte nicht hier drinnen überrumpelt werden.“ Man konnte spüren, wie sie zögerte, und ich wartete, hielt aber weiter ihr Handgelenk gepackt. Es war vor Anspannung ganz steif.
    „Ich habe nichts, was das Stehlen lohnt“, sagte sie leise. „Und falls du mich vergewaltigen willst, hättest du das längst tun können. Wer bist du? Was willst du?“ Sie hörte sich sehr mißtrauisch an, doch ihre Anspannung ließ nach, also lockerte ich den Griff, ging zur Türmatte und hob sie hoch. Sie zögerte kurz, hüllte sich dann fester in ihre Decke und folgte mir, drängte sich an mir vorbei, blieb stehen und atmete die Nachtluft ein.
    Ich ergriff sie beim Ellenbogen, zog sie über den aufgewühlten Sand zu der Baumreihe, die neben dem Tempel begann und sich zwischen Wüste und Weg bis zur Dorfmitte hinzog, zerrte sie in die alles verschlingenden Schatten, in denen man uns aus keiner Richtung ausmachen konnte. Hier blieben wir stehen, und sofort drehte sie sich um und musterte mein Gesicht. „Ja“, hauchte sie. „Ja, ich dachte schon, ich kenne dich, und ich habe recht gehabt. Warte einen Augenblick. Vor mehr als zwei Monaten, Anfang Thot. Im Tempel, und dann habe ich dich ertappt, wie du mir da draußen beim Tanzen zugesehen hast.“ Mit einer raschen Geste deutete sie auf die sanft gewellten Dünen. „Du bist derjenige, der freundlicherweise meinen Kasten mitgenommen hat, der einzige, der sich nach langen Jahren meiner erbarmt hat. Es tut mir leid, aber dein Name will mir nicht einfallen. Warum bist du hier? Wieso die Heimlichtuerei?“ Sie lächelte strahlend, und es war, als öffnete sich eine exotische Lotosblüte. „Es hat etwas mit meinem Kasten zu tun, ja? Ich habe kaum zu hoffen gewagt, daß das Wunder geschieht und du ein ehrlicher Mensch bist, der ihn nicht einfach über Bord geworfen hat. Du hast ihn zu Ramses schaffen können, ja? Läßt er mich holen? Schickt er mir eine Botschaft durch dich?“
    „Nein“, war meine knappe Antwort. „Hör mir gut zu, denn wir haben nicht viel Zeit. Ich habe deine Warnung in den Wind geschlagen und den Kasten General Paiis übergeben, weil ich geglaubt habe, daß du tatsächlich irre bist, und mir auch nichts anderes eingefallen ist, denn wegwerfen konnte ich ihn guten Gewissens nicht. Es tut mir leid!“ Das Lächeln erlosch, und sie blickte immer ungläubiger. „Ich habe getan, was mir als das Ehrenhafteste erschien, aber vermutlich habe ich dich damit nur in schreckliche Gefahr gebracht. Der General hat mich hier hergeschickt“, sagte ich hastig, „und einen weiteren Mann, den ich für einen gedungenen Mörder halte, den man ausgeschickt hat, dich zu töten. Noch

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