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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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vor der Morgendämmerung soll ich ihn zu deinem Haus führen, und dabei hatte ich gedacht, ich sollte dich nur festnehmen, weil du ein öffentliches Ärgernis bist, aber was auch immer in jenem Kasten war, es hat bewirkt, daß man dir ans Leben will. Ich bin überzeugt, daß du sterben sollst.“ Ein Weilchen musterte sie eingehend mein Gesicht, ihres jedoch zeigte keine Spur von Angst, sondern nur Nachdenklichkeit. „Und im Namen der Ehre hast du die Verantwortung, die du vollkommen freiwillig auf dich genommen hast, an diesen Mann abgeschoben, obwohl ich dich ausdrücklich gebeten hatte, ihm den Kasten nicht zu geben“, sagte sie schließlich. „Das war feige. Aber du bist noch jung, darum verzeihe ich dir, daß du Ehre mit Feigheit verwechselt hast. Ich bin überhaupt nicht überrascht, daß Paiis beschlossen hat, sich meiner zu entledigen, denn du bist so dumm gewesen, schlafende Löwen zu wecken. Und warum, mein schöner junger Offizier, gehorchst du deinem Vorgesetzten ganz offenkundig nicht und kommst, um mich zu warnen?“ Ihre Fassung machte mich sprachlos. „Aber vielleicht gehorchst du ihm ja doch“, fuhr sie trocken fort. „Vielleicht schickt er dich, um mir eine Falle zu stellen, mich so zu erschrecken, daß ich bei dem Märchen von dem Mörder fliehe und damit gegen die Bestimmungen meiner Verbannung verstoße. Dann könnte er mich völlig zu Recht festnehmen und ins Gefängnis werfen lassen, wo ich dann vergessen bin.“
    Sie legte die Hand ans Kinn, schritt auf und ab und schleppte dabei die Decke hinter sich her. Ich sagte kein Wort. Sie hatte mein Motiv, den Kasten zu Paiis zu bringen, gelassen und richtig eingeschätzt. Ich hatte mich schuldig gemacht, doch ich hatte die Situation ganz allgemein nicht begriffen, konnte gar nicht verstehen, was ich wirklich tat, als ich den Kasten auf seinen Schreibtisch stellte. Und sie hatte ich auch noch immer nicht ganz verstanden und sah ihr daher lieber zu und schwieg. Sie seufzte zweimal, schüttelte den Kopf und lachte dann bitter. „Nein“, sagte sie. „Er würde nicht versuchen, mich zur Flucht aus Aswat zu bewegen. Er weiß, daß ich auf gar keinen Fall gehe. Sechzehnjahre lang habe ich mich an das Gesetz gehalten. Paiis weiß, daß man mich mit keinem Märchen dazu bringt, daß ich alle Aussicht, die Gnade des Königs zu erlangen, aufs Spiel setze. Jedenfalls bin ich nicht so töricht, daß ich weglaufe, denn dann könnte ich auf ein Wort des Dorfschulzen von Aswat hin mit einem ordnungsgemäßen Haftbefehl von den königlichen Beamten festgenommen werden. Und das wäre unserem lieben Paiis zuviel öffentliches Aufsehen. Er möchte die Vergangenheit begraben. Im wahrsten Sinne des Wortes. Nein.“ Sie blieb stehen, kam zu mir und sah mir fest in die Augen. „Du hast mich gewarnt, weil du tatsächlich ein ehrenhafter junger Mann bist, der sich alle Mühe gibt, das Unheil gutzumachen, das er angerichtet hat, und zum anderen, weil du weißt, daß du natürlich auch sterben mußt, wenn man mich umbringt.“ Sie hatte die ganze Situation so schnell und richtig erfaßt, daß ich fassungslos staunte, und als sie meine Miene sah, lachte sie schon wieder. „Dann bin ich also doch keine Irre, ja?“ sagte sie stillvergnügt. „Wie unschlagbar überheblich die Jugend doch sein kann! Ich soll also kurz vor der Morgendämmerung sterben, wenn du mit dem Finger auf mich gezeigt und mich damit zum Tode verurteilt hast?“ Jetzt kräuselte sie die Stirn. „Er wird es nicht wagen, wenn wir zusammen sind. Damit verringern sich seine Aussichten auf Erfolg. Denn dann könnte einiges schief gehen.
    Er wird dich auffordern, ihn vor meine Haustür zu bringen, dann wird er sich umdrehen und dich töten, ehe er eintritt und mich abschlachtet. So schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe, außerdem hat er beide Leichen am selben Ort. So kann er uns leichter wegschleppen und verscharren.“ Sie kaute jetzt auf ihrer
    Lippe, dann streckte sie die Hand aus. „Nun? Hast du mir eine Waffe mitgebracht?“ Ich schüttelte benommen den Kopf.
    „Ich habe nur meine eigenen, mein Schwert und meinen Dolch. Das Schwert habe ich im Boot gelassen.“
    „Dann gib mir den Dolch. Wie soll ich mich sonst verteidigen? Etwa mit meiner Lampe nach ihm werfen?“ Ich zögerte, blickte ihr ins entschlossene Gesicht, und sie fuhr mich zornig an. „Du zweifelst noch immer an seinen Absichten, ja? Du willst erst handeln, wenn du vollkommen überzeugt bist. Doch diese Bedenken sind unser

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