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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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hoch. Die Ruderer lagen noch immer traumverloren in ihre Decken gewickelt, undeutliche Erhebungen, die sich im Bug drängten, und die Kabine stand da wie ein gedrungener Wachtposten, mit zugezogenen Vorhängen und stumm. Ich kroch zum Sonnensegel, nahm meine Decke und trocknete mir sorgfältig die Beine ab. Falls der Mann merkte, daß sie naß und dreckig waren, zog er vielleicht die richtigen Schlüsse. Nachdem ich mir den Gürtel mit dem Schwert umgelegt hatte, ging ich zur Kabinentür und klopfte laut. „Die Morgendämmerung naht“, rief ich. „Es wird Zeit.“ Man hörte kaum etwas, und schon tauchte er auf, im Umhang und barfuß und umgeben von einem Gifthauch abgestandener Luft. Er sagte kein Wort, sondern nickte nur und ging zur
    Bordkante. „Wir müssen die Laufplanke auslegen“, sagte ich. „Wie soll die Frau sonst an Deck kommen.“ Er blieb stehen.
    „Nichtjetzt“, sagte er knapp. „Das können die Ruderer später tun.“ Bei diesen Worten kletterte er über die Reling. Ich folgte grimmig. Da hatte ich ihm noch eine Gelegenheit gegeben, meine Bedenken zu zerstreuen, aber nein. Die Verzweiflung packte mich, als ich das seichte Wasser verließ und hinter ihm durch den Sand stapfte. Er wartete. Ich erreichte ihn, und er bedeutete mir mit einer Geste vorauszugehen. „Du zeigst mir den Weg“, sagte er.
    Alles krampfte sich in mir zusammen, als ich mich mit weichen Knien an ihm vorbeischob und mich auf den kurzen, allzu kurzen Weg zur Hütte der Frau machte. Ich glaube, bis zu diesem Augenblick hatte ich mich der Wirklichkeit von Paiis’ Verrat und meinem eigenen kurz bevorstehenden Tod nicht gestellt, hatte das Ganze im Kopf als Spiel mit Zug und Gegenzug durchgespielt, so als ob am Ende alles vorbei wäre und der Mann und ich die Frau festnehmen und fröhlich ins Delta zurückkehren würden.
    Doch als ich jetzt in der Dunkelheit, die durch die zitternden Palmwedel noch verstärkt wurde, den Weg entlangtrabte und vor mir das Wasser des kleinen Kanals aufblinken sah, der zu Wepwawets Tempel führte, da traf mich die volle Erkenntnis meiner Situation wie ein Schlag. Das hier war keine abartige Militärübung, die sich mein Ausbildungsoffizier ausgedacht hatte, oder ein grober Streich eines meiner Kameraden. Das hier war wahr, war wirklich: Hinter mir schlich ein Mann, der mein Leben beenden würde, ehe Re riesig und schimmernd über den Bäumen auf der anderen Seite des Flusses aufging, und dann wäre alles vorbei. Ich würde nie wissen, was danach kam. Ein kalter Schauder lief mir über den Rücken, und vor panischer Angst brach mir am ganzen Leib der Schweiß aus. Er ging so verstohlen, daß ich nicht einmal seine Schritte hören konnte. Ich wußte nicht, wie dicht er aufholte, wie viel Raum zwischen uns war. Als er auf einmal flüsterte: „Runter vom Weg“, konnte ich so gerade noch einen Aufschrei unterdrücken. Ich drehte mich um.
    „Wir müssen ihn weitergehen, weil er an ihrer Tür vorbeiführt“, gab ich flüsternd zurück. „Es ist nicht weit.“
    So gingen wir weiter, und als wir dann dem Weg folgend um die Tempelmauer herumschwenkten, meinte ich, im Gebüsch eine Bewegung wahrzunehmen. War sie da? Auf einmal klopfte mein Herz nicht mehr so panisch, ich war auf alles gefaßt und ergab mich in mein Schicksal. Ich hatte alles getan, was ich konnte. Den Rest mußte ich den Göttern überlassen.
    Vor ihrer Tür blieb ich stehen. Über der Wüste lag noch die Nacht, doch als ich einen Blick nach Osten warf, merkte ich, daß das Dunkel ein ganz klein wenig lichter wurde. „Da drinnen wohnt sie“, sagte ich, ohne mir die Mühe zu machen, die Stimme zu senken. „Es gehört sich nicht für zwei Fremde, sie mitten in der Nacht so roh aus dem Schlaf zu reißen. Laß uns zumindest an den Türsturz klopfen.“ Er überhörte mich, hob die Binsenmatte hoch und schlüpfte hinein. Ich folgte ihm nicht, denn ich wußte ja, daß sie nicht daheim war.
    Als er wieder auftauchte, packte er mich beim Ellenbogen.
    „Die Hütte ist leer“, zischte er. „Wo ist sie?“ Ich riß mich von ihm los und wollte gerade antworten, als die Büsche raschelten und sie hervortrat. Sie trug wieder den groben Umhang, mit dem sie ihre Nacktheit verhüllt hatte, als ich sie vor zwei Monaten beim Tanzen in der Wüste überrascht hatte. Er war am Hals zugebunden. Eine Hand hielt seine Kante, die andere war unsichtbar, doch ich wußte, daß sie meinen Dolch umklammerte.
    „Eine seltsame Zeit, mich aufzusuchen“, sagte

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