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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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General vielleicht.
    Aber natürlich, es gab noch einen anderen Grund, warum Paiis mich als Lockvogel ausgesucht hatte. Er wollte völlig sichergehen, daß die Klinge des Mörders auch die richtige Frau traf. Falls er aus Versehen jemand anders umbringen ließ, würde es viele unvorhergesehene Schwierigkeiten geben. Er hätte einen der vielen Reisenden schicken können, die sie in all den Jahren angefleht hatte, doch keiner von ihnen, dachte ich verbittert und beschämt, wäre so arglos gewesen, daß er ihm die durchsichtige Geschichte mit der Verhaftung, mit der Absonderung des verhaftenden Offiziers, der nicht redete und sein Gesicht nicht zeigte, abgekauft hätte. Du Narr, schalt ich mich. Du eingebildeter Narr, da hältst du dich für überlegen und bildest dir ein, daß Paiis deine Fähigkeiten schätzt und dich ihretwegen ausgesucht hat. Du bist nichts weiter als ein namenloses Werkzeug.
    Der Mann in der Kabine seufzte im Schlaf, ein langes Atemausstoßen, das mit Geraschel endete, als er sich auf den Polstern umdrehte. Ich kann versuchen, ihn jetzt umzubringen, dachte ich in meiner Dummheit. Ich kann in die Kabine schlüpfen und ihn, während er träumt, mit dem Schwert durchbohren. Aber kann ich auf dem Schlachtfeld wirklich einen Menschen töten, ganz zu schweigen von kaltblütigem Mord an einem Schlafenden? Die nötigen Handgriffe habe ich gelernt, aber das ist auch schon alles. Das weiß auch Paiis. Natürlich weiß er das. Und angenommen, ich versuche es, und es gelingt? Und angenommen, ich habe aus meinen eigenen Ängsten und Trugbildern ein Haus aus Rauch gebaut, und dieser Mann ist unschuldig, abgesehen von seiner Andersartigkeit? Dieser furchtbare Gedanke ging mir durch und durch. Ich bin Soldat und habe meine Befehle, ermahnte ich mich. Diese Befehle lauten, einen Söldner nach Aswat zu begleiten und ihm beim Ausführen seiner Aufgabe zu helfen. Ich weiß nicht, wie diese Befehle lauten, abgesehen von der Lüge, die mir der General aufgetischt hat. Ein vernünftiger und gehorsamer junger Offizier würde den Mund halten, nicht weiter herumrätseln, einfach tun, was man ihm aufgetragen hat, und den Rest seinen Vorgesetzten überlassen. Bin ich gehorsam? Bin ich vernünftig? Falls ich mit meinem gräßlichen Verdacht recht habe, sehe ich dann zu, wie der Mann tötet, ohne Prozeß, ohne schriftliches Todesurteil? O ihr Götter, ich muß doch mit ihr über meine Mutter reden. Ich habe gedacht, dazu wäre auf der Rückreise Zeit, aber falls ich recht habe und sie stirbt und ich es zulasse, weil es meine Pflicht ist, wie kann ich dann vorher mit ihr reden?
    Noch nie im Leben war ich mir so verloren und verlassen vorgekommen. Was würde Vater in einer solchen Lage tun? fragte ich mich, und noch während ich mir die Frage stellte, war mir die Antwort klar. Vater war ein Mann, der mit dem Risiko lebte. Der hatte keine Angst, seinen ganzen Besitz in eine neue Karawane zu stecken, ohne daß am Ende mit Sicherheit neue Reichtümer für ihn winkten. Und obendrein war er in seinen Geschäften ehrlich und sittlich einwandfrei. „Kamen“, würde er sagen, „was es auch immer kostet, das darfst du nicht zulassen. Aber erst mußt du dich vollends überzeugen, daß dein Verdacht zu Recht besteht, ehe du deinem Vorgesetzten nicht gehorchst und damit deine Laufbahn gefährdest.“
    Mir war elend zumute, und ich drehte mich auf die Seite und legte die Wange in die Hand. Die Stimme hatte zuerst wie die meines Vaters geklungen und dann wie meine eigene geendet. Ich mußte ganz und gar sicher sein. So dumm, daß ich einfach in die Kabine gehen und den Mann nach seinen Absichten befragen würde, war ich nun auch wieder nicht, darum mußte ich warten, bis seine Taten meinen Argwohn bestätigten, und dabei gefährdete ich mein eigenes Leben. Denn falls er ein Mörder war, würde er nicht zulassen, daß ich ihm bei seinem Tun in die Quere kam. Ich bedeutete ihm nichts, und wie ein Nichts würde er mich beseitigen. Nach meiner Einschätzung brauchten wir noch drei Tage bis Aswat. Ich hatte also drei Tage Zeit, mir zu überlegen, was ich tun sollte. Ich fing an, zu Wepwawet zu beten, unablässig, unzusammenhängend und ohne ein Ende finden zu können.
    An einem heißen, beklemmenden Abend machten wir gerade außerhalb der Sichtweite eines Dorfes fest. Die Sonne stand schon tief am Horizont, doch der letzte Schein des Tages färbte den Fluß noch rosig. Die Bucht, in der wir anlegten, war mir noch irgendwie vertraut, obwohl sie

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