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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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jetzt aufgrund der Überschwemmung größer war und die Bäume, die sich um ihr gefälliges Halbrund drängten, halb im Wasser versunken waren. Ich wußte auch noch, daß der Weg am Fluß hinter dem schützenden Dickicht scharf ins Inland abbog. Keiner, der von Aswat ins nächste Dorf wollte, würde merken, daß hier ein Boot lag. Ich erlaubte dem Koch nicht, Feuer im Kohlebecken zu machen, wir ernährten uns von den kalten Rationen - geräucherte Gans, Brot und Käse -, während das Tageslicht schwand und das Leben und Treiben der Vögel ringsum erstarb, bis das einzige Geräusch das Gurgeln des Wassers war, das zum Delta strömte.
    Ich zwang mich zum Essen, obwohl es mir den Appetit verschlagen hatte, und gerade als ich den letzten Tropfen Bier trank, war ein hartes Klopfen an der Kabinenwand zu hören. Erschrocken merkte ich, daß der Laut von innen kam. Ich wartete und hatte trotz des Bieres einen trockenen Mund, und dann hörte ich seine durch das Holz gedämpfte Stimme. „Offizier Kamen“, sagte sie. „Kannst du mich hören?“ Ich schluckte.
    „Ja.“
    „Gut. Wir sind in Aswat.“ Das war eher eine Feststellung als eine Frage, dennoch antwortete ich.
    „Ja.“
    „Gut“, wiederholte er. „Du wirst mich zwei Stunden vor der Dämmerung wecken und mich zur Bleibe dieser Frau führen. Du kennst sie?“ Er redete mit starkem, kehligem Akzent. Sein Ägyptisch war unbeholfen, so als ob er diese Sprache nicht oft verwendete oder sie nicht richtig gelernt hätte, doch es hörte sich kalt und selbstsicher an und ließ keinen Zweifel an seiner Geistesgegenwart. Paiis mußte ihm alles erzählt haben, was ich ihm gestanden hatte. Woher hätte er sonst gewußt, daß ich ihn geradewegs zur Hütte der Frau führen konnte? Ich holte tief Luft.
    „Es ist nicht gerade nett, sie aus dem Schlaf zu reißen, nur um sie zu verhaften“, sagte ich. „Sie wird erschrocken und verstört sein. Warum nicht morgen früh, wenn sie Gelegenheit gehabt hat, sich zu waschen, sich anzuziehen und etwas zu essen? Schließlich“, so fügte ich beherzt hinzu, „soll sie nicht wegen eines Kapitalverbrechens festgenommen werden. Sie mag nicht so irre sein, daß sie unter dem besonderen Schutz der Götter steht, aber richtig bei Trost ist sie auch nicht. Es ist grausam, sie im Dunkeln zu verhaften.“
    Einen Augenblick herrschte Schweigen, und mit einem Frösteln wurde mir klar, daß er wohl lächelte. Dann hörte ich, wie er sich bewegte. „Ihre Nachbarn, ihre Familie sollen nicht gestört werden“, sagte er. „Das hat mir der General aufgetragen. Falls wir morgens hingehen, ist das Dorf auf den Beinen. Überall Menschen. Die müssen es mit ansehen und sind betrübt. Ihre Familie wird später benachrichtigt.“ Ich atmete so laut aus, daß er es hören konnte.
    „Nun gut“, sagte ich. „Aber wir müssen sanft mit ihr umgehen und freundlich.“ Ich wartete auf eine Antwort, doch es kam keine. Inzwischen war meine Kehle vor lauter Angst so ausgedörrt, daß ich ein ganzes Faß Bier hätte austrinken können, und ich wollte dem Koch schon bedeuten, mir mehr zu bringen, überlegte es mir aber anders. Ich durfte mir nicht das Hirn vernebeln.
    Doch ich brauchte noch eine weitere Bestätigung. Allmählich wurde es dunkler, und das Geplauder der Ruderer machte den gedämpften Geräuschen des nächtlichen Flusses Platz, während ich steif und wachsam dalag, die Augen jedoch geschlossen hielt. Die Zeit verging, aber ich kam nicht in Versuchung einzuschlafen. Gerade dachte ich zu meiner unendlichen Erleichterung, daß ich mich doch wohl völlig getäuscht hätte, als ich das vertraute Knarren der Kabinentür hörte. Vorsichtig machte ich die Augen auf. Ein eigentümlich verzerrter Schatten huschte über das Deck, und ich brauchte einen Augenblick, bis mir aufging, daß der Mann dieses Mal nicht nackt war, sondern sich in seinen bauschigen Umhang gehüllt hatte. Er kletterte über die Reling und war bereits im Dunkel verschwunden, kaum daß er zwischen die Bäume am Ufer getreten war.
    Ich hockte mich auf die Fersen und blickte starr auf die Bootsplanken. Nein, er wollte noch nicht töten, nicht ohne den endgültigen Beweis ihrer Identität, den ich ihm liefern sollte. Nein. Er kundschaftete die Gegend, das Dorf aus, seine Gäßchen und Plätze, sah sich nach Fluchtwegen um, falls Flucht erforderlich sein sollte, vielleicht sogar nach einer geeigneten Grabstelle für ihren Leichnam draußen in der Wüste. In ein, zwei Stunden würde er

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