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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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zurückkehren, dann schlafen und auf meinen Weckruf warten.
    Ich hatte mich wieder auf meinen Strohsack gelegt und machte mich auf eine lange und bange Wartezeit gefaßt, als mir plötzlich etwas aufging. Ich unterdrückte den unvermittelten Aufschrei, indem ich mir die Decke in den Mund stopfte. Wenn er die Frau umgebracht hatte, würde er auch mich umbringen müssen. Ich sollte ihn zu ihr führen. Falls er mich nicht unter irgendeinem Vorwand wegschickte - und das war unwahrscheinlich -, während er tat, wofür er bezahlt wurde, würde ich Zeuge, könnte eilends nach Pi-Ramses und zu anderen Vorgesetzten als Paiis zurückkehren und die Geschichte einer Verhaftung ausplaudern, die in Wirklichkeit ein Todesurteil war. Würde er in aller Ruhe zum Boot zurückgehen und sich für meine Ruderer eine Geschichte ausdenken? Ihnen erzählen, daß sie krank und für einige Zeit nicht reisefähig sei und er mich zu ihrer Bewachung zurückgelassen hätte? Oder würde er einfach in der Wüste verschwinden, nachdem er uns beide begraben hatte, so daß die Wahrheit nie ans Licht kommen würde? Und was war mit Paiis? Gehörte mein Tod zu seinem ursprünglichen Plan? Hatte er bereits eine Geschichte parat, die er meiner Familie auftischen würde, falls ich nicht zurückkehrte? Lügen ist leicht, wenn niemand einen widerlegen kann. O Kamen, dachte ich, du bist tatsächlich ein leichtgläubiger, argloser Narr. Du hast deinen Kopf in den Rachen des Löwen gelegt, doch du kannst den Göttern danken, daß er noch nicht zugebissen hat.
    Ich wollte aufspringen, die Ruderer wecken, mit meinem Verdacht herausplatzen, ihnen befehlen, uns auf der Stelle von Aswat fortzurudern, doch dann besann ich mich eines Besseren. Ich hatte überhaupt keine Beweise. Diese Sache mußte ich durchstehen, und Durchstehen bedeutete, daß ich mich bei Sonnenaufgang entweder für alle Zeit zum Gespött machte oder daß einer von uns tot war. Da lag ich nun und verwünschte Paiis, verwünschte mich selbst, verwünschte die Ereignisse, die mich hier hergeführt hatten, doch meine Verwünschungen wurden zu Gebeten, denn mir war eingefallen, daß sich unweit der Tempel meines Schutzgottes befand, und beim Beten wurde ich ruhiger.
    Er kehrte zurück, als der Mond gerade den Zenit überschritten hatte, und dieses Mal ging er nicht gleich in seine Kabine. Ich sah, daß er sich mir näherte, schloß die Augen und zwang mich, locker dazuliegen und mit leicht geöffnetem Mund wie ein Schlafender regelmäßig und tief zu atmen. Ich spürte, wie er anhielt, konnte den nassen Schlamm an seinen Füßen riechen, als er dastand, auf mich herabblickte, mich beobachtete, und gerade seine Reglosigkeit wirkte bedrohlich. Der Augenblick zog sich unerträglich in die Länge, bis ich das Gefühl hatte, schreiend aufspringen zu müssen, doch dann hörte ich die Tür knarren und war erlöst. Auch wenn es nicht erforderlich gewesen wäre, eine geraume Zeit abzuwarten, bis er seinerseits eingeschlafen war, ich hätte mich nicht rühren können. Meine Knie schlotterten und meine Finger zitterten. Aber nach einem Weilchen bekam ich meinen Körper wieder in den Griff, stand lautlos auf, schlich mich über das Deck, das noch feucht von seinen Füßen war, und ließ mich über die Bootskante hinunter.
    Hinter den Bäumen kam der Weg, und den rannte ich entlang, denn ich wußte, daß mir nicht viel Zeit blieb. Er führte mich wie erwartet zum Ufer des bescheidenen kleinen Kanals, der den Nil mit dem gepflasterten Hof vor Wepwawets Tempel verband, dort bog er ab, zog sich gleich hinter diesem Gebäude an der Hütte der Frau vorbei, zurück zum Fluß und dann ins Dorf hinein. Keuchend schwenkte ich ab und spürte trotz der Dringlichkeit dessen, was ich tun mußte, wie gut es tat, wieder an Land zu sein und ungehindert und frei unter dem dunklen Geflecht der Palmwedel dahinzulaufen. Du könntest doch weiterlaufen, sagte ich mir. Lauf, lauf, bis Aswat weit hinter dir liegt, du in Sicherheit bist und nach Pi-Ramses zurückkehren kannst. Doch kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, da hatte ich auch schon die Tür der baufälligen Hütte erreicht, an die ich mich nur zu gut erinnerte.
    Einen kurzen Augenblick hielt ich inne, lauschte und schöpfte Atem. Die Nacht war ruhig, zu meiner Rechten breitete sich die Wüste aus, gesäumt von kleinen Äckern, die jetzt wie große Lachen sternenbeschienenen Wassers wirkten und sich vor mir erstreckten. Alles war grau und still. Die Hausmauer warf einen

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