Die Herrin Thu
scheiterte und Ramses nicht vernichtete, mußte Hunro nichts mehr vortäuschen. Ihre Lebenskraft flackert nur noch selten auf. Aus ihrer hoffnungsfrohen Jugend ist Groll geworden. Ach, wäre doch sie das Ziel und nicht Thu.“ Er schenkte mir ein mattes Lächeln, sein Gesicht war in dem ungewissen Licht nur halb zu sehen. „Du und ich, wir kennen Thu weitaus besser als die übrigen“, sagte er. „Für sie ist sie kaum mehr als eine Bedrohung, die beseitigt werden muß, aber für uns ist sie ein Andenken an einfachere Zeiten, als wir noch Hoffnungen hatten.“ Dieses Mal fehlte seiner Stimme der übliche spöttische Unterton. Sie klang müde und traurig.
„Dann laß doch alles, wie es ist“, rutschte es mir heraus. „Du hättest niemals große Vorteile aus der Beseitigung des Pharaos gezogen, Hui. Wer auch auf dem Horusthron sitzt, du bist noch immer der Seher, der Heiler. Die größten Vorteile für das Heer und die eigene Laufbahn hätte dein Bruder gehabt. Und was die Maat angeht, haben die Götter nicht durch Thus Scheitern gesprochen? Kamen ist ein sehr achtbarer junger Mann. Er verdient es zu leben!“
„Ach, auf einmal?“ Das war wieder der alte, abgebrühte Ton, jedoch mit einer Spur Humor. „Und wer sitzt stirnrunzelnd vor der Waage und versucht abzuwägen, wer mehr wert ist, ein einziger königlicher Bankert oder ein einzigartiger, begabter Seher, ganz zu schweigen von einem mächtigen General? Du bist noch immer der alte Schwärmer, Kaha. Früher hast du dich gegen den verwerflichen Zustand Ägyptens eingesetzt. Heute sorgst du dich nur noch um das
Schicksal einer einzigen Frau und ihres Kindes. Es geht dir nicht mehr um die Maat. Nur noch ums Überleben, dein eigenes inbegriffen.“ Ich verneigte mich.
„Dann eine gute Nacht, Gebieter“, sagte ich. „Und dir auch, Harshira“, denn der Haushofmeister stand noch immer stumm hinter Hui. Ich entfernte mich und war auf einmal so müde, daß ich nicht wußte, wie ich das Stück durch den dunklen Garten zum Weg am See schaffen sollte. Ich wollte nicht gehen. Ein Teil von mir sehnte sich danach, zu Hui zurückzulaufen und ihn anzuflehen, mich wieder in seine Dienste zu nehmen, doch ich erkannte, was mich da drängte - es war der Wunsch, wieder in die Geborgenheit zurückzukehren, in der ich glücklich gewesen war. Jenen Kaha gab es nicht mehr, er hatte sich in der Säure zunehmender Selbsterkenntnis aufgelöst, die das Erwachsenwerden und die entsprechenden Enttäuschungen mit sich bringen. Huis Eingangspylon wölbte sich drohend über mir, als ich hindurchschritt, in der undurchdringlichen Dunkelheit wirkte er noch größer als sonst. Auf dem Wasser hinter ihm spiegelten sich matt die Sterne. Ich bog nach rechts ab und folgte dem menschenleeren, schmalen Weg zu Mens Haus.
Achtes Kapitel
Auf dem Weg zu meinem Zimmer begegnete mir niemand. Ich zog mich aus und legte mich schlafen, doch obwohl ich sehr müde war, fand ich keine Ruhe. Der Abend ging mir wieder und wieder durch den Kopf, mit welchen Gefühlen die Worte befrachtet gewesen waren, die Blicke, meine eigenen, aufrührerischen Gefühle. Das Treffen löste ein überwältigendes Gefühl in mir aus, nämlich Ergebung ins Unvermeidliche. Die ganzen Jahre hatte es der Geschichte unserer Verschwörung an einem starken Schluß gemangelt. Jetzt war die Zeit gekommen, die Schreibbinse zu ergreifen und ein rasches und endgültiges Ende zu schreiben, die losen Enden zu verknüpfen. Doch diese Enden waren zwei Menschen, und die endgültigen Hieroglyphen würden mit Blut geschrieben sein. Na schön, was hast du erwartet, als du Hui die Nachricht geschickt hast? fragte ich mich, während ich zur dunklen Decke hochstarrte. Hast du etwa geglaubt, daß er darüber hinweggehen würde? Es hat dich nicht übermäßig erstaunt, als du gehört hast, daß sie bereits gehandelt haben, daß Paiis schon versucht hat, Thu und Kamen umzubringen, oder daß Hui weiß, wer Kamen ist. Und deine Annahme war richtig, von dir wird weiter nichts erwartet. Nichts als ein kleiner Verrat. Nur ein paar rasche Zeichen auf Papyrus, falls Kamen nach Hause kommt. Verrat? Das Wort hallte in meinem Kopf wider. Wer bist du, Kaha? Was schuldest du, und wem schuldest du etwas?
Ich drehte mich auf die Seite und schloß die Augen, denn mir war übel, doch nicht von dem reichhaltigen Essen, das ich verspeist hatte, oder von der Menge
Wein, die ich getrunken hatte. Vor vielen, vielen Jahren hatte ich versucht, von meiner Tat
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