Die Herrin Thu
dachte, ich wäre in Geschäften der Verschwörer unterwegs. „In Wahrheit hat mich der Haushofmeister meines Gebieters beauftragt, die Herrin Takhuru noch einmal zu Kamens Verschwinden zu befragen, falls sie einwilligt“, erklärte ich ihm. „Morgen kehrt mein Gebieter aus Fayum zurück, wir befinden uns in großer Not.“ Der Mann wiegte mitfühlend den Kopf.
„Ich erkundige mich, ob sie dich empfangen will“, sagte er und entfernte sich. Wieder wartete ich und betrachtete die bunte Fülle von Statuen überall in Nesiamuns weitläufigem Garten, und als meine Augen über die sonnenbeschienenen Rasenflächen schweiften, erhaschte ich einen Blick auf Soldaten, die auf den hinteren Garten zugingen, wo sich die Dienstbotenquartiere befanden. Also plauderte Paiis mit seinem Freund, während seine Soldaten das Anwesen durchsuchten. Diese Dreistigkeit verschlug mir den Atem. Ich warf einen Blick hinüber zum Türhüter, doch der war in seine Nische zurückgegangen. Halb verzweifelt, halb erleichtert bemühte ich mich herauszufinden, was die Bewaffneten trieben. Was würden die Diener dem Haushofmeister über die Eindringlinge erzählen? Was hatte der befehlshabende Offizier gesagt? Daß sie nach einem Verbrecher suchten? Paiis war es einerlei, was gesagt oder nicht gesagt wurde. Sein Selbstvertrauen war grenzenlos. Ich drehte mich um, als ein Schatten auf mich fiel. „Die Herrin Takhuru empfängt dich“, sagte der Diener. „Folge mir.“
Er führte mich durch das Untergeschoß des Hauses zu einem kleinen Zimmer im hinteren Teil, dessen großes Fenster zum Garten hin ging. „Der Schreiber Kaha“, sagte er, verbeugte sich, verließ uns und machte die Tür hinter sich zu.
Sie saß dem Fenster gegenüber auf einem Ebenholzstuhl, ihre beringten Hände umklammerten die Armlehnen, ihre goldbeschuhten Füße ruhten schicklich nebeneinander auf einem niedrigen Schemel. Ein schlichtes, weißes Kleid, aber eindeutig aus dem allerfeinsten Leinen, fiel von ihren schmalen Schultern und umspielte ihre Waden. Um ihre Stirn schlang sich ein Goldreif, der ein engmaschiges Netz aus Goldfäden hielt, unter dem ihr schimmerndes Haar eingefangen war. Sie war frisch und schön, und trotzdem bemerkte ich, während ich mich mit ausgestreckten Armen vor ihr verbeugte, wie blaß sie unter dem fachmännisch aufgetragenen Khol und dem hellroten Henna auf ihrem Mund war. Die langen, weichen Finger umklammerten die Löwenköpfe des Stuhls, und sie schluckte, ehe sie den Mund aufmachte. „Oberschreiber Kaha“, sagte sie mit belegter Stimme, „vermutlich bist du hier, um mich über das Schicksal meines Verlobten zu befragen. Ich habe seinem Leibdiener Setau bereits erzählt, was ich weiß. Tut mir leid.“ Ich richtete mich wieder auf und musterte sie eingehend. Sie biß die Zähne zusammen. Ihre Kinnmuskeln spannten sich, doch ihre Aufmerksamkeit galt nicht mir, sondern dem Garten. Ich habe recht, dachte ich erregt. Sie weiß Bescheid.
„Hab Dank, Herrin, daß du mich empfängst“, sagte ich. „Ich weiß, daß General Paiis bei deinem Vater ist und daß seine Soldaten euer Anwesen durchsuchen. Ist Kamen in Sicherheit?“ Sie warf mir einen hastigen Blick zu.
„Was meinst du damit?“ Ihre eleganten Finger waren jetzt in den Löwenrachen gewandert und streichelten die scharfen, geschnitzten Zähne. „Woher soll ich wissen, ob Kamen in Sicherheit ist oder nicht? Ich bete abends und morgens für ihn. Die Sorge um ihn raubt mir den Schlaf.“
„Ich sorge mich auch“, sagte ich, „aber meine Sorge ist, daß ihn die Soldaten da draußen finden könnten. Ich glaube, du teilst meine Sorge.“ Sie gab noch immer nicht nach, und dabei konnte ich sehen, daß sie fast die Nerven verlor. Schweißperlen glänzten auf ihrer Oberlippe, und an ihrem schlanken Hals begann das Blut sichtbar in den Adern zu pochen.
„Ich möchte nicht länger mit dir sprechen, Kaha“, sagte sie so hochfahrend, wie sie es noch zustande brachte. „Bitte geh.“
„Herrin“, bedrängte ich sie. „Ich bin heute nicht mit dem General gekommen. Ich wünsche Kamen keinesfalls den Tod, seiner Mutter übrigens auch nicht, aber Paiis. Ich bin gekommen, weil ich sie warnen will. Du weißt, wo sie sind, ja?“ Sie sank ein klein wenig in sich zusammen und lehnte sich im Stuhl zurück.
„Ich habe keine Ahnung, wovon du redest“, sagte sie steif, „aber wenn du glaubst, daß Kamen in Gefahr ist, und mehr dazu sagen möchtest, will ich dir zuhören.“ Sie tat mir
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