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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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abzurücken, doch die Trennung war mit einem schmutzigen Messer gemacht worden, mein Ka hatte sich entzündet. Ich wußte nicht, was ich tun sollte.
    Als ich dann das erste Mahl des Tages hinaus in den funkelnden Morgen trug, war Kamen noch immer nicht zurückgekehrt. Das überraschte mich nicht. Ich aß und trank teilnahmslos und leerte gerade den letzten Tropfen Ziegenmilch aus meinem Becher, als ich Pa-Bast über den Rasen auf mich zukommen sah. Er trug eine unversiegelte Rolle in der Hand, und seine Miene war ernst. „Guten Morgen, Kaha“, sagte er. „Hier ist eine Nachricht aus Fayum. Die Familie will heute nach Hause aufbrechen. Morgen Abend sind sie da, es sei denn, sie legen noch in On an, was ich bezweifle.“ Er hockte sich neben mich und klopfte sich mit der Rolle auf den Schenkel. „Ich habe keine Antwort geschickt. Das ist nicht erforderlich. Die Diener machen die Schlafzimmer gründlich sauber. Doch da ist die Sache mit Kamen.“ Unsere Blicke trafen sich, seiner besorgt und trübe. „Ich habe den Befehlshaber der städtischen Polizei zu mir bestellt, man wird gründlich nach ihm suchen. Haben wir alles getan, was wir konnten?“
    Mir schoß der Gedanke durch den Kopf, daß die polizeiliche Suche Paiis sehr gelegen kam, vorausgesetzt, er fand Thu und ihren Sohn schnell und entledigte sich ihrer. Er würde dafür sorgen, daß die Polizei die Leichen im See schwimmend oder abgestochen in einem Gäßchen fand, und alle würden annehmen, daß Diebe sie ermordet hatten. Men würde wissen wollen, wieso Thu in der Stadt und in Gesellschaft von Kamen gewesen war. Desgleichen Thus Familie in Aswat.
    Wie eine im Hals steckengebliebene Gräte fiel mir das Geschenk von Thus Vater zu ihrem ersten Namenstag in Huis Haus ein. Er hatte ihr eine eigenhändig geschnitzte Statuette von Wepwawet geschenkt, ein Kunstwerk von schlichter Schönheit, ein bescheidenes Zeugnis seiner Liebe zu ihr, und natürlich, natürlich! Ich holte tief Luft. Die stand jetzt auf dem Tisch neben Kamens Lager. Du bist ein Tor gewesen, Kaha, schalt ich mich. Wie konnte es geschehen, daß du das nicht in seiner Tragweite begriffen hast? Er hat sie geliebt. Ihr Bruder, Pa-ari, hat sie geliebt und ihr oft geschrieben. Und du, du feiger Schreiber, welche Zuneigung hast du für sie empfunden? Alles Lippenbekenntnisse, mehr nicht, denn du hast weggesehen, als sie verhaftet und zum Tode verurteilt wurde, und du hättest sie sterben lassen, ohne mehr zu empfinden als gelegentliche selbstgerechte Gewissensbisse. „Doch, das haben wir“, antwortete ich Pa-Bast schließlich. „Wenn Men daheim ist, erzähle ich ihm von der Rolle. Das können wir nicht mehr vertuschen, Pa-Bast. Ich glaube, ihr Inhalt hat Kamen zur Flucht bewegen. Ruf mich, wenn der Befehlshaber da ist.“ Pa-Bast stand auf und entfernte sich, und ich blieb noch ein Weilchen sitzen, lehnte den Rücken an einen Baumstamm und drückte die Hände ins kühle Gras.
    Die leeren Schüsseln neben mir zogen nach und nach Fliegen an. Hungrig kreisten sie, dann setzten sie sich auf den Becherrand - schwarze, kleine Körper, die im Sonnenschein schimmerten. Andere fielen über Krümel und Obstschalen her, kamen gierig angetippelt, und als ich sie so beobachtete, da wußte ich auf einmal, was ich zu tun hatte. Wir hatten sie allesamt ausgebeutet. Ich hatte sie benutzt, weil sie meinen Stolz auf mein Geschichtswissen und auf meine Fähigkeiten als Lehrer genährt hatte. Für Paiis war sie eine Beute gewesen, hatte seine Wollust angeheizt. Für Hunro war sie ein Geschöpf gewesen, das sie verachten konnte, und mittels ihres Hasses hatte sich Hunro in ihrer Überlegenheit bestätigt gefühlt. Und Hui? Hui hatte sie bei lebendigem Leibe aufgefressen. Hui hatte ihr alles genommen. Hui hatte sie geformt, sie beherrscht, sie zu einem Teil seiner selbst gemacht. Er hatte ihr Ka gefressen und es neu geformt wieder ausgespuckt. Und dabei hatte er sich in sie verliebt, aber nicht in die Frau Thu, sondern in Thu, sein anderes Ich, in Thu, seinen Zwilling.
    Die Reste hatten weitere Fliegen angelockt. Sie krabbelten übereinander und saugten die Leckereien zu ihren Füßen auf. Angewidert griff ich zu meiner Serviette und wedelte sie fort, und zornig summend schwirrten sie hoch, flogen aber nicht davon. Ich bedeckte die Schüsseln mit dem Tuch. An wen würde sich Kamen wenden? Wohin konnte er seine Mutter bringen? Er war ein geselliger junger Mann mit vielen Bekannten, doch mit einem so furchtbaren Geheimnis

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