Die Herrin von Avalon
weiten Tal inmitten grüner Wiesen und ehrwürdiger alter Bäume. Nach den Sümpfen am Fuß des Tors war die fruchtbare Erde unter den Füßen eine Wohltat, denn sie gab ihr ein Gefühl von Festigkeit und Sicherheit. Es herrschte eine Atmosphäre von gelassener Sicherheit und Beständigkeit, die sich deutlich von den Nachklängen alter Zeiten unterschied, die sie in Avalon spürte. In Venta Belgarum schien die Zeit stillzustehen. Sie fand die Stadt trotz der Geschäftigkeit des Markttages lebensfroh und heiter.
Die Priesterinnen wurden von Duovir Quintus Julius Cerialis gastfreundlich aufgenommen. Er war der einflußreichste Magistrat der Stadt und entstammte dem alten Königshaus. Sein Aussehen verriet nichts davon. Cerialis war behäbig und gediegen, im Grunde sogar römischer als die Römer. Sein Haus mit den vergoldeten Acanthusblättern an den Simsen und dem kunstvollen Delphinmosaik des Speisesaals hätte auf einem der sieben Hügel von Rom stehen können. Er sprach am liebsten Latein, und Teleri, die beide Sprachen fließend beherrschte, mußte oft für Adwen und Crida übersetzen. Auch Dierna nahm hin und wieder ihre Hilfe in Anspruch. Die Hohepriesterin verstand zwar die Sprache der Römer gut, aber die Feinheiten bei förmlichen Anlässen waren ihr nicht so geläufig.
Trotzdem wären die anderen auch ohne sie zurechtgekommen. Die jungen Mädchen, die sie auf ihre Eignung für die Ausbildung in Avalon überprüften, sprachen fließend britisch.
Teleri fragte sich manchmal, warum Dierna sie aus dem Frieden der heiligen Insel herausgeholt hatte, noch bevor sie zur Priesterin geweiht worden war.
Das Wetter blieb sonnig und trocken. Die Bauern erwarteten trotz der vorausgegangenen Stürme eine gute Ernte. Cerialis stellte immer wieder fest, daß die Götter und Göttinnen ihnen in diesem Jahr freundlich gesonnen waren. Die schützenden Hügel um Venta hielten die Winde ab, und je länger sie dort blieben, desto mehr sehnte sich Teleri nach der erfrischenden Brise von Durnovaria. Als Dierna endlich erklärte, sie würden zur Küste aufbrechen, um das Gelände der im Bau befindlichen neuen Hafenfestung zu weihen, war sie erleichtert.
»Ein frischer Wind kommt auf!« rief Cerialis. »Die salzige Luft wird eure rosigen Wangen kühlen!« Der dicke Cerialis beugte sich etwas zu tief in die Sänfte.
Teleri seufzte. Der hohe Herr behandelte Dierna und Crida mit großer Ehrerbietung, als seien sie Vestalinnen. Die jüngeren Frauen im Gefolge bedachte er jedoch mit Gefühlen, die kaum noch als väterlich zu rechtfertigen waren. Wie auch immer, er hatte recht. Die frische Brise war eine Wohltat. Cerialis hatte einen hochroten Kopf, obwohl er als Schutz gegen die Sonne einen Strohhut trug. Vielleicht würde der Wind auch seine Gefühle etwas abkühlen ...
Es dauerte nicht lange, und Teleri sah hinter einer Wegbiegung durch die Bäume hindurch blaues Wasser. Die neue Straße führte von Clausentum zuerst etwas landeinwärts nach Südosten. Cerialis hatte darauf bestanden, daß sie die Nacht in Clausentum verbrachten. Ein guter Reiter konnte den Weg von Venta in einem Tag zurücklegen, aber ihr Gastgeber schien der Meinung zu sein, die Frauen müßten verwöhnt werden.
»Glaubst du, die neue Festung wird die Sachsen abschrecken?« Teleri suchte Halt in der schwankenden Sänfte und sah ihn fragend an.
»Gewiß! Gewiß!« versicherte er eifrig. »Jede Mauer und jedes Schiff führt den Piraten, dem Abschaum des Meeres, mit allem Nachdruck vor Augen, daß sich Britannien zur Wehr setzen kann.« Er richtete sich mit einer übertriebenen Geste im Sattel auf und schien sich vor dem imaginären römischen Kaiser zu verneigen.
»Da bin ich ganz anderer Meinung!« rief sein Sohn Allectus und trieb seine Stute neben die Sänfte. »Es kommt einzig und allein auf die Soldaten und Seeleute an, Vater. Ohne Besatzung sind Schiffe nur faulendes Holz und Mauern nichts anderes als bröckelnde Steine!«
Allectus mochte etwa in Teleris Alter sein, vielleicht war er sogar jünger. Er war klein und ebenso dünn und drahtig, wie sein Vater dick und behäbig war. Er hatte ein schmales Gesicht und durchdringende dunkle Augen. Auf Teleri wirkte er wie jemand, der in seiner Kindheit oft krank gewesen sein mußte. Vielleicht war er deshalb nicht beim römischen Militär gewesen.
»Richtig ... natürlich hast du recht.« Cerialis warf einen verlegenen Blick auf den Jungen.
Teleri unterdrückte ein Lächeln. Jedermann wußte, daß der Duovir
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