Die Herrin von Avalon
bereits einen Bauch bekam. Zwanzig Dienstjahre hatten Carausius gelehrt, so zu reagieren, als stehe er plötzlich dem Kaiser Diocletian persönlich gegenüber.
»Die Götter waren mir gnädig gesonnen«, erwiderte er. »Ich habe eines meiner Schiffe verloren, aber dem zweiten gelang es, nach Dubris zurückzukehren. Ich wurde auf der Hercules nach Westen getrieben, und das Glück half mir, den Hafen von Clausentum zu erreichen, bevor wir an den Felsen zerschellten oder von den Wellen in die Tiefe gerissen wurden.«
»Das war wirklich Glück!« Maximian nickte. Dann sah er Carausius prüfend an. »Aber die Götter lieben einen Mann, der auch dann noch kämpft, wenn alle Hoffnung verloren zu sein scheint. Der Segen der Götter ruht auf dir, Carausius, und das macht dich zu einem der wenigen Auserwählten. Deshalb wiederhole ich: Wir hätten deinen Untergang zutiefst bedauert.«
Maximian bedeutete ihm, Platz zu nehmen. Der andere, jüngere Mann im Raum lächelte ebenfalls. Carausius sah mit einem Blick, daß er im Heer diente. Die aufrechte Haltung, die ihm den Anschein gab, als trage er über der Tunika einen unsichtbaren Brustpanzer, verriet es deutlich. Der Mann war einen halben Kopf größer als Carausius und hatte hellblonde Haare, die langsam schütter wurden.
»Ich vermute, du kennst Constantius Chlorus«, fuhr der Herrscher fort.
»Nur dem Namen nach«, erwiderte Carausius.
Während seiner Zeit in Britannien war Constantius sehr beliebt gewesen. Den Gerüchten nach hatte er eine Einheimische zu seiner Geliebten gemacht. Später gewann er mehrere entscheidende Kämpfe an der germanischen Grenze. Carausius betrachtete ihn etwas genauer. Constantius lächelte offen und arglos wie ein Junge. Aber die disziplinierte Kontrolle gewann sofort wieder die Oberhand.
Er ist ein Idealist, der gelernt hat, seine Seele zu verbergen. Solche Männer können nützliche Freunde sein ... . oder gefährliche Feinde. Aber wie wirke ich auf den Fremden?
Nach den vielen Jahren zur See waren seine Haare gebleicht, die Haut verwittert und gebräunt. Vermutlich sah er wie ein ganz gewöhnlicher Seebär aus.
»Du wirst mit Genugtuung hören, daß die Ladung der von dir gekaperten Piratenschiffe eine beachtliche Summe erbracht hat«, sagte Maximian und fuhr, ohne auf eine Antwort zu warten, fort: »Ich höre von dir schon seit längerer Zeit, daß wir einen zusätzlichen Stützpunkt an der südlichen Küste brauchen ... Noch ein paar solcher Siege, und wir haben die nötigen Gelder, um deine Pläne zu verwirklichen.«
Der hohe Herr sah ihn erwartungsvoll an. Carausius runzelte die Stirn. Bei den Göttern, er hatte sich schon lange für diesen Stützpunkt eingesetzt, aber wenig Hoffnung gehabt, daß man auf ihn hören werde.
»Wer soll der Befehlshaber sein?« fragte er vorsichtig.
»Wen würdest du vorschlagen«, erwiderte Maximian. »Meine Wahl fällt auf dich, Carausius! Ich übergebe dir die britannische Flotte und die Festungen an der sächsischen Küste.«
Die Verblüffung mußte Carausius so deutlich anzusehen sein, daß sogar Constantius lachte. Aber Carausius bemerkte es nicht, denn er dachte an die Frau in Weiß, die ihm im Sturm das Leben gerettet hatte.
»Deshalb schlage ich vor, wir unterhalten uns über deine Stützpunkte auf beiden Seiten des Kanals«, erklärte Maximian huldvoll. »Wie soll deine Streitmacht ausgerüstet sein und welche Schiffe möchtest du haben? Ich kann nichts versprechen, aber ich werde versuchen, deine Wünsche zu erfüllen ... «
Carausius holte tief Luft und zwang sich, die Gedanken auf den Mann zu konzentrieren, der vor ihm saß.
»Zuerst brauchen wir den neuen Stützpunkt. Ich kenne einen geeigneten Hafen in der Nähe von Clausentum, der befestigt werden könnte. Er liegt im Schutz der Insel Vectis und ließe sich von Venta Belgarum aus mit Nachschub versorgen.« Während er dem Herrscher seine Pläne vortrug, verblaßte das Bild der Frau in Weiß. Er erinnerte sich jedoch sehr genau an die Gedanken, die er hatte, als er auf dem Dreimaster stand, und an die stumme Zwiesprache mit dieser geheimnisvollen Frau auf seinen langen Spaziergängen am Ufer von Clausentum.
Teleri hatte Avalon nicht verlassen wollen. Als Dierna sie kurz nach der Sommersonnwende auswählte, um sie auf ihrer Reise zu begleiten, hatte sie sich dagegen gewehrt. Aber beim Eintreffen in Venta Belgarum konnte sie nicht länger behaupten, das alles sei für sie ohne Bedeutung. Die alte Stadt der Belgen lag in einem
Weitere Kostenlose Bücher