Die Herrin von Avalon
Durotriges haben uns angegriffen ... unter der Führung von Allectus. Mein Herr Carausius wurde im Kampf verwundet. Er hat uns befohlen, ihn hierher zu bringen. Bei den Göttern, wir haben getan, was er wollte.«
»Wo ist er?« unterbrach ihn Dierna.
Der junge Mann schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Er hat mich ins Dorf geschickt, um Hilfe zu holen. Die Leute hier haben den Kampf beobachtet, aber sie hatten Angst. Ich kann es verstehen«, er blickte auf die kleinen dunkelhäutigen Sumpfbewohner. »Sie kommen mir wie Kinder vor, obwohl ich weiß, daß es Männer sind. Ich bin zum Kampfplatz zurückgelaufen und habe nur Tote gefunden. Mein Herr war nicht darunter. Die kleinen Männer weigerten sich, aus Angst vor bösen Geistern, in den dunklen Stunden der Nacht ihre Häuser zu verlassen. Wir suchen ihn seit dem Morgengrauen, aber wir haben ihn nicht gefunden!«
Der Kaiser von Britannien lag halb auf dem trockenen Ufer und halb im Wasser. Im Licht des neuen Tages sah er, wie sein Blut alles um ihn herum rot färbte.
Er hatte nie gewußt, daß die Morgendämmerung so schön sein konnte. Hinter ihm lag eine Nacht voller Schrecken. Eine Ewigkeit war er über Baumwurzeln gekrochen und immer wieder im Schlamm ausgeglitten, der ihn in die Tiefe ziehen wollte. Er glaubte, Fieber zu haben, doch jetzt war sein Körper kalt - zu kalt. Er konnte die Beine weder fühlen noch bewegen. So hatte er sich sein Ende nicht vorgestellt.
Ein Schwan tauchte aus dem Nebel auf, der über dem Wasser hing, und schwamm so unwirklich wie ein Traum an Carausius vorüber. Hier, wo er die Hügel nicht sah, konnte er sich vorstellen, in den Sümpfen seiner Heimat zu liegen, wo sich der Rhein, der Vater aller Flüsse, auf dem Weg ins Meer in viele Arme teilte. Er erinnerte sich, daß man früher an der Mündung den Göttern Männer geopfert hatte, die einen dreifachen Tod starben. Er verzog etwas die Lippen, als ihm klar wurde, daß er bestimmt schon mehr als dreimal sein Leben geopfert hatte.
Dieser letzte Morgen ist ein Geschenk der Götter , dachte er. Ich bin wieder bei Bewußtsein und muß nicht im Delirium sterben. Jetzt bleibt mir nur noch der Übergang. Ich kann die Sache in Ehren zu Ende bringen ...
Das Seil, mit dem er an Teubert festgebunden gewesen war, hing noch immer um seine Hüfte. Mit gefühllosen Fingern lockerte er die Schlinge und zog sie nach oben um den Hals. Dann schlang er das andere Ende um eine Baumwurzel. Er würde sich so lange wie möglich aufrecht halten, denn der Morgen war schön. Doch er glaubte nicht, daß er es lange schaffen konnte.
Irgendwo hinter diesen Nebeln wartete die Herrscherin seines Herzens auf ihn.
Weiß sie, wie sehr ich sie geliebt habe? Dieses Geschenk ist für dich , dachte er, und für die Göttin, der du dienst. Ich wurde auf der anderen Seite des Meeres geboren, doch mein Tod gehört Britannien .
Aber vielleicht war das bedeutungslos. Dierna hatte ihm einmal gesagt, daß die Götter hinter all den Erscheinungen ein einziger Gott waren. Carausius bedauerte nur, nicht noch einmal das Meer sehen zu können.
Die Sonne stieg höher und tanzte golden auf dem Wasser. Die glitzernden Wellen erinnerten ihn an das sanfte Meer ... Er lächelte und ließ sich von ihnen hinaus in die endlose Weite tragen. Er hörte den Wind in der Takelung; das leichte Schwindelgefühl kam von seinem Schiff, das ihn über das Meer trug, dessen Bug in die Wellentäler tauchte.
Ihm kam ein Gedanke. Wenn alle Götter ein Gott waren, dann galt das auch für alle Gewässer. Sie waren der Mutterleib der Göttin - das älteste aller Meere.
Vor ihm erhob sich eine Insel. Sie war von roten Felsenklippen und grünen Feldern umschlossen. In ihrer Mitte befand sich ein spitzer Hügel, auf dessen Kuppel das goldene Dach eines Tempels funkelte und in seinem blendenden Glanz mit der Sonne wetteiferte.
Er kannte diesen Ort. Im Wiedererkennen erkannte er auch sich. Er trug die Insignien eines Priesters auf der Stirn und an den Unterarmen die tätowierten Drachen eines Königs. Er hob die Arme zum rituellen Gruß der Sonne und achtete nicht darauf, daß der Körper, den er hinter sich ließ, von der Schlinge zurückgerissen wurde und halb ins Wasser sank.
Über das Meer drang die Stimme der Frau, die in allen Leben seine Geliebte und seine Herrscherin gewesen war. Sie rief ihn zu sich.
Dierna lief am Seeufer entlang und rief den Namen ihres Geliebten. Carausius war so nahe; bestimmt würde das Band zwischen ihnen sie zu
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