Die Herrin von Avalon
ihren Platz dahinter ein. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Sie stiegen hinab zum Ufer, wo die schwarz verhängte Barke wartete, um den Kaiser an das Ziel seiner letzten Reise zu tragen.
Man hatte das Grab auf dem Hügel der Wachturm-Insel ausgehoben. Es war die fernste Insel und die erste hinter den Nebeln - das Tor nach Avalon. Für alle, die es nicht passieren konnten, gab es dort nichts von Interesse außer einem kleinen Dorf, dessen Hütten sich am Fuß des Hügels drängten. Doch vor langer Zeit war auf diesem Hügel ein anderer Held begraben worden. Er hatte Avalon verteidigt und lag dort, damit sein Geist die heiligen Inseln bewachte. Die Druiden hatten Carausius bei seinem ersten Besuch als ›Sohn der hundert Könige‹ begrüßt. Es war nur angemessen, daß er seine letzte Ruhe neben dem Mann finden sollte, für den das Lied einst gemacht worden war.
Es war bereits dunkel, als sie den Hügel erreichten. Fackeln brannten in einem Kreis um das Grab; ihr Licht verlieh den Zügen des Mannes, der daneben lag, eine täuschende Wärme. Es tauchte die weißen Gewänder der Druiden und die blauen der Priesterinnen in einen rötlichen Schein. Dierna trug einen schwarzen Schleier. Obwohl die in den Schleier eingenähten Goldblättchen wie Sterne glitzerten und funkelten, konnte das Licht den schwarzen Stoff nicht durchdringen, denn in dieser Nacht war sie die Herrin der Dunkelheit.
»Die Sonne ist von uns gegangen ... « sagte die Hohepriesterin leise, als der Gesang endete. »Am heutigen Tag hat sie den Höhepunkt ihrer Herrschaft erreicht, doch nun ist der Abend angebrochen. Von diesem Augenblick an wird die Macht des Lichts abnehmen, bis die Kälte des Winters die Erde überwältigt.« Während sie sprach, schien selbst das Fackellicht schwächer zu werden. Das alte Wissen legte den zyklischen Veränderungen der Natur große Bedeutung bei; in dieser Nacht verstand Dierna sie bis in die Tiefen ihrer Seele.
»Der Geist dieses Mannes ist von uns gegangen.« Ihre Stimme zitterte kaum, als sie fortfuhr. »Wie die Sonne hat er in Herrlichkeit und Glanz geherrscht, und wie die Sonne ist er gestürzt worden. Wie die Sonne weilt er im Winter in den Ländern des Südens. Wie die Sonne verläßt sein Geist jetzt unser Land. Wir betrauern seinen Verlust. Doch wir wissen, daß mitten in der Dunkelheit des Winters das Licht wiedergeboren werden wird. Und so geben wir diesen Körper der Erde zurück, aus der er gekommen ist. Wir tun es in der Hoffnung, daß sein strahlender Geist von neuem zu Fleisch werde und in der Stunde von Britanniens größter Not unter uns weilen wird.«
Als die Druiden die Leiche in das Grab legten und begannen, es mit Erde zu füllen, hörte Dierna jemanden weinen. Doch ihre Augen blieben trocken. Ihre Worte hatten ihr keine Hoffnung geschenkt - darüber war sie hinaus. Carausius hatte den Kampf nicht aufgegeben, als sich das Schicksal gegen ihn wandte. Sie wußte in diesem Augenblick, daß sie es nicht anders tun würde. »Carausius hat seinen Sieg errungen. Doch das ist in der geistigen Welt geschehen. In dieser Welt lebt sein Mörder noch und rühmt sich seiner Tat. Es ist Allectus - Allectus, den er liebte. Allectus hat Unrecht begangen und muß für seinen Verrat bezahlen! In diesem Augenblick, in dem die Knoten der Macht neu geknüpft werden und die Ereignisse sich in Richtung Zerfall und Niedergang bewegen, soll ihn mein Fluch treffen.«
Dierna atmete tief ein und hob die Arme zum Himmel.
»Mächte der Nacht! Ich rufe euch nach den alten Gesetzen der Not, damit ihr den Mörder straft. Von nun an sei kein Tag schön für ihn, kein Feuer biete ihm Wärme, keine Liebe sei wahr für ihn, bis er sein Verbrechen gebüßt hat!«
Sie drehte sich um und wies mit einer Geste auf das Wasser, wo die Wellen unter ihnen ans Ufer schlugen.
»Mächte des Meeres, Leib, aus dem wir alle geboren wurden, großer Ozean, dessen Strömungen uns alle tragen! Allectus komme von jedem Kurs ab, den er einschlägt! Erhebe dich, Meer, um den Mörder zu verschlingen, und ziehe ihn in deine dunklen Fluten!«
Sie kniete sich neben das Grab und griff mit den Fingern in die lockere Erde.
»Mächte der Erde, der wir diesen Leib übergeben. Der Mann, der ihn getötet hat, finde keinen Frieden! Er mißtraue jedem Schritt, den er tut, jedem Mann, auf den er sich verläßt, und jeder Frau, die er liebt, bis der Abgrund unter ihm aufreißt und er in die Tiefe stürzt.«
Dierna erhob sich. Ihre Lippen wurden schmal und
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