Die Herrin von Avalon
langsam. »Zweifellos sind wir dir dafür dankbar. Ohne dich wären die Wölfe auch uns an die Kehle gefahren. Aber meine Männer wollen entscheiden können, wer ihr Geld ausgibt und wem sie folgen. Dein Volk schuldet dir Treue. Die Männer im Westen nicht.«
»Aber sie werden dir folgen!« rief Vortimer.
»Ich erwarte nur, daß du mit deinen Männern an meiner Seite kämpfst!«
»Vielleicht bist du damit zufrieden, aber ich glaube, dein Vater will etwas mehr«, erwiderte Ambrosius. Es folgte ein gespanntes Schweigen. »Ich werde etwas tun«, sagte der Fürst des Westens schließlich. »Ich werde unsere Lagerhäuser öffnen und dir unsere Vorräte zur Verfügung stellen. Doch ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, unter Vortigerns Banner zu reiten.«
Die Ratsversammlung löste sich auf. In Vivianes Augen standen Tränen der Enttäuschung. Als sie sich beruhigt hatte, stellte sie fest, daß der Prinz sie hilfesuchend ansah. Die Weisheit der Männer hatte versagt. Was blieb anderes übrig, als in dieser kritischen Lage um den Rat von Avalon zu bitten? Es überraschte sie nicht, als er den anderen den Rücken kehrte und mit großen Schritten auf sie zukam.
Ihr ganzes Leben lang hatte Viviane vom Tanz der Riesen gehört, ohne einmal selbst auf der Hochebene gewesen zu sein. Während sie am Fluß entlang nach Norden ritten, hielt sie auf der weiten Fläche gespannt nach den ersten dunklen Punkten Ausschau. Doch Taliesin, der Größte von ihnen, entdeckte die Steine als erster und wies mit der Hand darauf, bis zuerst Vortimer, dann Viviane und schließlich auch Ana sie sahen.
Viviane war dem Prinzen dankbar, ihr diese Gelegenheit verschafft zu haben, das alte Heiligtum kennenzulernen. Als Vortimer die Herrin von Avalon gebeten hatte, ihm die Zukunft vorauszusagen, erwiderte sie, nur wenn man die Kraft in einem alten Heiligtum beschwören würde, könnte ein Blick in die Zukunft gelingen. Viviane zweifelte an der Richtigkeit der Aussagen. Sie glaubte, die Hohepriesterin sei einfach zu klug, um vor den Augen so vieler Menschen, die ihr nicht wohlgesonnen waren, das geheime Ritual zu wagen. Ein dreistündiger Ritt genügte, um alle Neugierigen abzuhalten.
Die Nachmittagssonne schien warm, aber Viviane fror. Die Ebene schien endlos unter dem weiten offenen Himmel. In dieser scheinbaren Unendlichkeit fühlte sie sich seltsam verletzlich, etwa wie eine Ameise, die über eine Straße kriecht.
Langsam wurden die dunklen Punkte größer, und es dauerte nicht lange, dann konnte Viviane die einzelnen Steine deutlich voneinander unterscheiden.
Der Ring der Steine auf dem Tor war ihr vertraut; doch dieser Ring war sehr viel größer und von einem großen Graben umgeben. Die Steine wirkten wie geformt und geglättet. Auf vielen, die noch standen, lagen Decksteine. Der Ring erinnerte dadurch eher an ein Gebäude und wirkte weniger wie ein heiliger Hain. Einige Steine waren umgestürzt, doch das hatte ihnen wenig von ihrer Kraft genommen. Das Gras um den Ring wuchs dicht und grün, während es im Innern spärlich und eher vertrocknet war. Viviane hatte gehört, daß in dem Rund kein Schnee fiel und daß auf den Steinen kein Schnee liegenblieb.
Bei genauerem Hinsehen entdeckte sie, daß aus der Erde Teile von Steinen ragten, die früher die Anlage umgeben haben mußten. Im Ring befand sich ein kleinerer Kreis von Säulen. Um den Altarstein bildeten vier Dreiecksteine einen Halbkreis. Viviane fragte sich, welche Welten man durch diese dunklen Tore wohl erreichen mochte.
Sie saßen ab und legten den Pferden Fußfesseln an, denn auf der Ebene gab es keine Bäume, an denen man sie hätte festbinden können. Neugierig ging Viviane auf dem Wall hinter dem Graben um das Heiligtum herum.
»Was sagst du dazu?« fragte Taliesin, als sie zurückkam.
»Es ist seltsam, aber ich muß immer wieder an Avalon denken, das heißt, eher an Inis Vitrin. Die beiden Orte könnten kaum verschiedener sein, aber der Kreis der Dreiecksteine hat beinahe die gleiche Größe wie der der Hütten, die um die Kirche dort stehen.«
»Das stimmt«, sagte Taliesin nachdenklich. »Keiner von uns wird diesen Platz unverändert verlassen.« Seine Antwort klang besorgt. Er fastete seit dem vorigen Abend, um sich auf seine Aufgabe bei dem Ritual vorzubereiten. »Unsere Überlieferungen sagen, daß die Priester diesen Ort errichtet haben, die in uralter Zeit von Atlantis über das Meer kamen. Wir glauben, daß der Heilige, der die Gemeinschaft auf Inis
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