Die Herrin von Avalon
hervor, und von seinen Mundwinkeln flogen Speichelfetzen. Sie fragte sich, wie jemand so etwas Unsinniges glauben könne. Doch die Menschen stimmten ihm mit begeisterten Rufen zu. Ihr Pferd drückte sich an Taliesins Maultier, als fühle sich selbst die kleine Stute schutzbedürftig.
Das Geschrei wurde lauter, als mehrere Wachen im Tor erschienen und drei Männer vor sich herstießen. Viviane erschrak. Sie wollte nicht glauben, daß eines der bedauernswerten Opfer ihr Freund, der Mönch Fortunatus, sein sollte. Als spüre er ihren Gedanken, richtete er sich auf und warf einen wehmütigen Blick über die Menge. Die Wachen stießen ihn aber unbarmherzig mit den anderen die Stufen hinunter.
»Ketzer!« schrien die Menschen, »Teufel! Ihr habt die Heiden über uns gebracht!«
Wenn es nur so wäre , dachte Viviane. Mit einem Trupp Heiden hätte sie den Pöbel vertrieben.
»Steinigt sie!« schrie jemand. Im nächsten Augenblick hatte das ganze Forum den Ruf aufgenommen. Männer bückten sich, um Pflastersteine aufzuheben. Viviane konnte sie durch die Luft fliegen sehen, doch die aufgebrachte Menge entzog die Opfer ihren Blicken.
Der Bischof sah zu. Sein Gesicht verriet eine Art erschrockener Befriedigung. Nach einem langen Augenblick der Genugtuung wandte er sich mit sichtlichem Bedauern an eine Wache und gab einen kurzen Befehl. Die Soldaten bahnten sich daraufhin mit den Speerschäften einen Weg durch das Gewühl.
Nachdem die Menge die Gewalt der Wachen zu spüren bekam, zerstreute sie sich und verließ allmählich den Platz. Die Kirchenmänner hatten sich in die Basilika zurückgezogen, als die Soldaten anfingen, ihre Speere zu gebrauchen. Sobald Viviane sah, daß die Steinigung vorüber war, trieb sie ihr Pferd mit den Fersen an.
»Viviane, bleib hier! Was hast du vor?« Taliesins Maultier folgte mit klappernden Hufen. Sie hatte bereits die zusammengesunkenen Gestalten erreicht, die bei der Auseinandersetzung zu Boden gegangen waren. Einige Männer richteten sich stöhnend wieder auf, doch die drei Ketzer lagen von Steinen getroffen regungslos auf dem Pflaster.
Viviane sprang vom Pferd und beugte sich über Vater Fortunatus. Er atmete nicht mehr. An seiner Schläfe sah sie etwas Blut, sonst aber keine Anzeichen einer Verletzung. Auf seinem Gesicht lag der Ausdruck tiefen Friedens. Taliesin brachte sein Maultier neben ihr zum Stehen. Als sie zu ihm aufblickte, liefen ihr Tränen über die Wangen.
»Er ist tot. Aber ich lasse nicht zu, daß sie seine Leiche bekommen. Hilf mir, ihn wegzubringen.«
Der Barde drehte sich im Sattel um, machte mit den Fingern ein verschlungenes Zeichen, um sie herum entstand ein Schutzkreis. Viviane begriff seine Absicht und verstärkte die beschworene Kraft.
Ihr seht uns nicht ... Ihr hört uns nicht ... Hier war niemand!
Sollten die Christen doch denken, die bösen Geister hätten Fortunatus geholt.
Taliesin band den alten Priester auf den Sattel des Maultiers, hob Viviane auf ihr Pferd und deckte seinen Mantel über die Leiche. Dann nahm er die Zügel beider Tiere und führte sie über den Platz.
Die Beschwörung bot ihnen Schutz, bis sie die Stadt verlassen hatten. Viviane hätte den alten Mann gerne auf seiner heiligen Insel neben dem Stein begraben, von dem aus er ins Feenland gelangt war. Aber das war leider nicht möglich.
Taliesin kannte eine verlassene Kapelle neben einem See. Die Stelle lag auf dem Weg der Kraft. Dort begruben sie ihn mit den Riten der Druiden.
Viviane erinnerte sich an den Augenblick in den Nebeln, als sie mit dem Licht verschmolzen war, und wußte, daß alle Wahrheit eins ist. Sie dachte, Fortunatus hätte bestimmt nichts dagegen, daß sie seinen Körper der Erde übergaben.
So endete der erste Abschnitt ihrer Reise leider mit einem Fehlschlag. Sie hatten Fortunatus nicht retten können. Danach waren sie erfolgreicher, doch Viviane fiel es schwer, inmitten der Intrigen und Ungerechtigkeiten in den Dörfern und Städten ihre Ruhe zu bewahren. Die meisten Menschen waren arm und litten große Not. Die wenigen Reichen trugen zu noch mehr Unterdrückung und Elend bei. Niemand fühlte sich mehr sicher. Das Ringen ums Überleben machte aus Menschen Bestien.
Sie ritten nach Londinium, wo der Großkönig mit seinen Söhnen darum kämpfte, wenigstens den Anschein zu wahren, er herrsche über das Land. Viviane sah Vortimer wieder. Er wirkte inzwischen sehr viel älter. Anfangs verwechselte er sie mit ihrer Mutter. Viviane verriet ihm nicht, daß sie bei
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