Die Herrin von Avalon
Aufenthalt in Londinium wurde von einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Vortimer und seinem Vater überschattet. Vortigern hatte sich darauf vorbereitet, seinen Sohn als Thronfolger zu begrüßen. Verständlicherweise war er bestürzt, als er von Vortimers Absicht erfuhr, seinen Sieg zu ›verschenken‹, wie er es ausdrückte. Viviane dachte, Vortigern und Ana könnten sich gegenseitig ihr Leid mit den eigensinnigen Kindern klagen. Doch solche Gedanken behielt sie für sich. Vortimer litt um so mehr, als er den Standpunkt seines Vaters verstehen konnte. Er hatte oft davon gesprochen, wie sehr sich der Großkönig darum bemüht habe, den Fehler wiedergutzumachen, den er begangen hatte, als er die Sachsen nach Britannien holte. Zwar sah er die Engstirnigkeit seines Vaters, doch er achtete den alten Mann und litt unter der Meinungsverschiedenheit. Als sie sich schließlich auf den Weg nach Calleva machten, war er blaß und schweigsam.
Erst als sie das bequeme mansio in Calleva erreichten, begriff Viviane, daß Vortimers Verstimmung nicht ausschließlich auf seinen Vater zurückzuführen war. Beim Entkleiden vor dem Bad sah sie, daß das Fleisch um die Wunde entzündet und geschwollen war. Er behauptete, keine Schmerzen zu haben, sie schwor, das sei eine Lüge, und ließ sich nicht davon abbringen, die Wunde mit heißen Kompressen zu behandeln.
An Abend schienen seine Beschwerden sehr viel geringer zu sein. Als sie zu Bett gingen, zog er sie zum ersten Mal seit der Schlacht an sich.
»Das sollten wir nicht«, flüsterte sie, als er ihren Hals küßte. »Es wird dir weh tun.«
»Ich werde es nicht merken ... « Seine Lippen fanden ihre Brüste, und sie überließ sich ihm.
»Ich glaube dir nicht«, erwiderte sie leise. Überrascht stellte sie fest, wie sehr sie sich daran gewöhnt hatte, daß sie sich liebten.
»Dann müssen wir eben erfinderisch sein ... « Er stütze sich auf den Ellbogen und legte sich vorsichtig auf den Rücken, während er sie mit der anderen Hand streichelte. Viviane spürte, wie sie in der Dunkelheit errötete. Aber seine ruhelose Hand weckte ein Verlangen, das sie nicht leugnen konnte. Es war wie beim ersten Mal, als ihre Vereinigung ein Durchlaß für Kräfte wurde, die weit über alles Menschliche hinausgingen. In dieser Nacht wurde das Schlafgemach in Calleva zum Heiligtum ihrer Liebe.
»Viviane ... « flüsterte er, als die Ekstase schwand und sie sich wieder daran erinnerten, daß sie Sterbliche waren. »Wie ich dich liebe. Verlaß mich nicht, Geliebte. Laß mich immer bei dir sein ... «
»Das werde ich ... « erwiderte sie und küßte ihn. Erst sehr viel später wunderte sie sich darüber, daß sie nicht gesagt hatte, daß sie ihn ebenfalls liebe.
Am nächsten Morgen ritten sie in Richtung Glevum weiter. Doch am Mittag des zweiten Reisetages bekam Vortimer Fieber. Er weigerte sich anzuhalten und erlaubte Viviane auch nicht, die Wunde zu untersuchen. Im Laufe des Nachmittags begannen die Männer der Eskorte jedoch, ihre Sorge zu teilen. Und als sie ihnen befahl, an der Kreuzung in Richtung Cunetio abzubiegen, anstatt die Straße nach Norden zu nehmen, widersprachen sie nicht.
In der Nacht war das Bein sehr heiß und hart. Für Viviane bestand kein Zweifel daran, daß sich eine Verunreinigung in der Wunde befinden mußte. Als sie nach längerem Einweichen die Fäden durchschnitt, quoll Eiter hervor. Das mansio in Cunetio war klein und befand sich in schlechtem Zustand, doch sie tat ihr Bestes, um es Vortimer so bequem wie möglich zu machen. Trotzdem schlief er unruhig und sie ebenfalls. Sie machte sich Gedanken, wie lange ihre Vorräte an Kräutern reichen würden und was sie tun sollte, wenn sie zu Ende waren.
Als Vortimer keine Einwände dagegen erhob, einen Tag länger zu bleiben, wußte sie, welche Schmerzen er haben mußte. Aus der Wunde trat noch immer Flüssigkeit aus. Auch wenn sich sein Zustand nicht viel besserte, so verschlechterte er sich nicht. Am nächsten Morgen setzte sie sich zu ihm ans Bett und griff nach seiner Hand.
»Du kannst nicht reiten, und in diesem Zustand kannst du nicht nach Glevum«, sagte sie ruhig. »Hier ist kein guter Platz, um dich zu pflegen. Aber wir sind nicht allzu weit von Avalon entfernt. Dort haben sie sehr viel mehr Heilkräuter, und ihre Kenntnisse übersteigen die meinen bei weitem. Ich bin sicher, du wirst gesund werden, wenn du erlaubst, daß wir dich in einer Sänfte nach Avalon bringen.«
Er blickte ihr in die Augen - sehr
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