Die Herrin von Sainte Claire
Schwert abhacken, ehe er dir einen Schmerz zufügt.«
»Ich kann es nicht glauben, daß Rorik dich nicht liebt, Alaine.« Mathildes Gedanken wanderten prompt von ihren Ängsten zu dem Seelenschmerz ihrer Schwester.
Alaine schüttelte lächelnd den Kopf. »Eine Frau hat ihm großes Leid zugefügt. Die Pein und die Bitterkeit sitzen tief eingegraben. Zu tief, um von mir geheilt zu werden.«
»Doch du liebst ihn sehr.«
Alaine lächelte traurig. »Ist das so deutlich zu sehen?«
Mathilde zog Alaine in einer zärtlichen Umarmung an sich. »Du bist tapferer als ich, Alaine, aber das warst du schon immer. Vielleicht bin ich hoffnungslos von meinen kindlichen Träumen gefangen, doch dank dir sind meine Träume in Erfüllung gegangen. Ich bin voller Zuversicht, daß meine Träume für dich sich auch erfüllen werden.«
Mathildes Zweifel schmolzen in der Morgensonne und von Garins warmen Lächeln dahin, mit der er ihr vor dem Kirchenportal begegnete. Nie hatte es eine strahlendere und zufriedenere Braut gegeben. Als der Priester mit lauter Stimme die Mitgift verkündete, drückte Alaine Roriks Arm.
»Ihr habt Mathilde großzügig beschenkt, Mylord«, sagte sie. »Ich und Joanna sind Euch sehr dankbar.«
»Ich wollte der Stieftochter Sir Geoffreys durch eine kärgliche Mitgift keine Schande zufügen. Er war viele Jahre ein treuer Vasall meiner Familie. Das Land, das ich ihnen geschenkt habe, hat mir William vor zwei Jahren übergeben. Es ist ein kleines Lehnsgut, doch bringt es ihnen den nötigen Lebensunterhalt. Es war mir eine Selbstverständlichkeit, denn ich erachte mich als Glückspilz, einen so ergebenen Gefolgsmann wie Garin zu haben.«
»Garin wird Euch nicht enttäuschen«, versicherte sie ihm. »Weder hier noch irgendwo anders.«
Wie schön und gütig war doch ihr Lächeln, während sie ihre Stiefschwester, die vor der Kirche kniete, betrachtete. Sie hätte seinen Zorn in Kauf genommen, um diese beiden zu vermählen. Welcher Mann wäre einem Bruder oder einer Schwester so treu ergeben, die nicht seine Blutsverwandten wären? Rorik wollte die Worte aussprechen, die ihm auf den Lippen brannten, doch eiserne Fesseln des Mißtrauens und des Argwohns hielten ihn zurück. Niemals würde die Narbe verheilen, die seiner Mutter Verrat ihm zugefügt hatte. Und das war auch gut so, denn niemals könnte er diesen zarten Gefühlen, die Alaine in ihm hervorlockte, Vertrauen schenken. Sie glaubte, ihn zu lieben. Das hatte sie ihm in Augenblicken verraten, als sie meinte, er würde sie nicht hören. Doch hatte sie ihn nicht einmal betrogen? Wer weiß, ob sie es nicht wieder täte?
Der Tag verging mit ausgelassenem Feiern. Zwei Jongleure und eine Akrobatentruppe tanzten und schlugen Kapriolen für ein gutes Mahl und eine warme Lagerstatt. Wein, Bier und Essen waren im Überfluß vorhanden. Auch noch der niedrigste Leibeigene hatte an diesem Tag mehr als er in sich hineinstopfen konnte.
Der Tag ging über in den Abend. Man zündete Kerzen und Laternen an. Die Lustbarkeiten drohten sich bis in die Nacht hineinzuziehen, doch Joanna, die Brautmutter, bedeutete bald, es sei die Stunde gekommen, daß sich das frischvermählte Paar zu Bett begab. Die Adelsdamen im Gefolge von Mathilde begleiteten sie mit großem Pomp die Treppen hinauf. Einen Moment lang erbleichte die Braut und rang nach Atem. Sie ergriff Alaines Hand, die ihren Arm um die Taille des Mädchens legte und gemeinsam mit ihr die Treppen erklomm zum Gemach, wo das Brautpaar die Nacht verbringen würde.
Mathilde wurde dem Brauch gemäß entkleidet, und auf das mit blumenbestreute Brautlager gebettet. Dann überließ man sie ihrem Schicksal. Alaine betrachtete die angetrunkenen und witzelnden Männer, wie sie einen unsicher dreinblickenden Garin die Treppe hinauf zum Gemach führten. Da mußte sie an ihre eigene große Angst, Wut und Verwirrung in jener Nacht in ihrem Leben denken – die hauptsächlich durch Gunnors haarsträubende Geschichten entstanden waren. Wenn sie bedachte, daß diese Hexe selbst die Seele ihrer eigenen kleinen Schwester vergiften wollte! Doch Mathilde würde in dieser Nacht nichts als Freude empfangen. Alaine schämte sich, einen leisen Stich zu verspüren. Wie glücklich war doch eine Braut zu schätzen, die ihren Bräutigam in dem unerschütterlichen Wissen umarmen konnte, von ihm über alle anderen Frauen geliebt und geschätzt zu werden.
Garin öffnete die Tür zum Gemach und versperrte den Durchgang. Die Männer murrten enttäuscht,
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