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Die Herrin von Sainte Claire

Die Herrin von Sainte Claire

Titel: Die Herrin von Sainte Claire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Carmichael
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Falten ihres Untergewandes an. »Gib Joanna Bescheid, daß ich gleich bei ihr bin.«
    Überrascht von Alaines Tonfall, runzelte Hadwisa die Stirn. Sie konnte sich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnen, daß ihr Schützling nun langsam erwachsen und Schloßherrin und Gebieterin über Land und Leute war. »Nun, dann laßt die Dame nicht allzulange warten«, gab sie verschnupft zurück. »Sie sieht heute morgen sehr merkwürdig drein, und ich glaube, sie führt etwas im Schilde.«
    Hadwisa schloß die Tür hinter sich und Alaine trat vor den Metallspiegel, den Joannas älteste Tochter in der Kammer aufgestellt hatte. Ihr Haar mußte neu geflochten werden, beschloß sie, zudem würde Joanna keinesfalls die leichte Sonnenbräune gutheißen, die Alaines Wangen färbte. Andererseits gefiel Joanna sowieso herzlich wenig an ihr oder an ihrem Verhalten. Sie würde es lieber sehen, wenn sie geziert wie Gunnor oder sittsam wie Mathilde wäre.
    Sie erinnerte sich wieder, wie Garin Mathilde auf dem Turnierfeld angestarrt hatte, und versuchte jetzt ebenso mit den Wimpern zu klappern, wie sie es bei ihrer Stiefschwester mit derart interessanten Folgen beobachtet hatte. Nach ein oder zwei Mal gab sie geknickt auf. Es war hoffnungslos. Was bei Mathilde bezaubernd ausgesehen hatte, wirkte bei ihr nur lächerlich. Kein Wunder, daß die Männer ihr niemals solche Blicke zuwarfen wie ihren Stiefschwestern. Es war eben wie Joanna ihr schon so oft gesagt hatte, ihr Auftreten war viel zu offen und ehrlich – völlig unschmeichelhaft für ein junges Edelfräulein. Sie verstand es nicht, jemanden schöne Augen zu machen. Und kokett zu sein, überstieg vollends ihre Fähigkeiten. Ihre unverblümte Art brachte die meisten Männer ins Stottern und verhalf den Damen zu entrüsteten Blicken.
     
    Lady Joanna erwartete sie in der Kemenate. Sie tappte ungeduldig mit dem Fuß und hatte ihre Stirn in sorgenvolle Falten gelegt.
    »Ich muß schon sagen, Alaine, du hast dir Zeit gelassen. Hat es denn so lange gedauert diese … diese Männerkleidung auszuziehen?«
    Alaine hob die Achseln. Sie wollte sich in keinen Streit einlassen. Ihre Stiefmutter sah heute müde und erschöpft aus. Joanna war eine anziehende, schlanke Frau, nun zum zweiten Mal verwitwet. Ihre Haare schimmerten nur eine Spur matter als das kastanienrote Haar ihrer Tochter Mathilde. Kein einziges graues Fädchen durchzog die dichten Locken, die sorgsam geknotet in ihrem Nacken lagen und aus dem Schleier hervorlugten. Aber an diesem Morgen schien Joanna gealtert. Sie hielt die Schultern nicht so straff wie sonst, und ihre Stirn war von Linien überzogen, die vor einer Woche noch nicht dagewesen waren.
    »Du weißt, was ich davon halte, wenn du mit den jungen Burschen herumtollst.« In Joannas gewöhnlich sanfter Stimme klang ein scharfer Unterton.
    »Wir haben nicht herumgetollt«, antwortete Alaine artig. »Wir haben uns bloß unterhalten. Außerdem hat mein Vater …«
    »Dein Vater ist tot, Alaine …«
    Ihre Augen trafen sich. Alaine drückte das schlechte Gewissen beim Anblick der Trauer, der die sonst so klaren, grauen Augen umflorte. Auch ihre Stiefmutter hatte in der vergangenen Woche unter dem Schmerz des Verlustes gelitten, doch Alaine hatte keinen Gedanken daran verschwendet. Sie hatte sich ausschließlich ihrem eigenen Leid gewidmet.
    »Es tut mir leid, Alaine«, sagte Joanna milder gestimmt, »aber du mußt der Realität ins Auge sehen. Es kommt eine Zeit im Leben eines jeden Menschen, wo er die Vorzüge und Freuden der Jugend hinter sich lassen muß. Deine Zeit ist nun gekommen.«
    »Was erwartest du von mir?« fragte Alaine heftig.
    »Ich möchte, daß du wie eine Frau handelst, die für das Wohl und Weh aller Bewohner von Ste. Claire verantwortlich ist.«
    Alaine starrte mit zusammengepreßten Lippen wortlos zu Boden.
    »Gestern bin ich mit dem Verwalter das Haushaltsbuch durchgegangen. Er meint, du kennst die Bücher besser noch als Sir Geoffrey. Ich würde gerne wissen, warum in den letzten Monaten die Steuern und Abgaben der Sklaven und Leibeigenen nicht eingetrieben worden sind.«
    Alaine hob die Augen. Jetzt befand sie sich in sicherem Fahrwasser. Ihr Vater hatte stets dafür gesorgt, daß sie ihren Besitz ebenso zu verwalten wie zu verteidigen verstand. Sie kannte das Haushaltsbuch in- und auswendig, jede fällige Abgabe und jeden Sold.
    »Vater und ich waren da einer Meinung«, bemerkte sie steif. »Die Sklaven und Leibeigenen leiden ohnedies unter der

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