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Die Herrin von Sainte Claire

Die Herrin von Sainte Claire

Titel: Die Herrin von Sainte Claire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Carmichael
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meist mißachtet. Nun waren die Dorfbewohner gezwungen, an Ort und Stelle zu bleiben und auf das Beste zu hoffen.
    »Wir müssen zumindest vortäuschen, daß wir Widerstand leisten können«, erklärte Alaine dem Seneschall mit bedrückter Stimme. »Erwecken wir beim Feind den Eindruck, wir seien stark, dann hält er vielleicht eine Belagerung für zwecklos. Bleibt er allerdings hartnäckig …« Ihr Mund verzog sich zu einem schmalen Strich. »Bleibt er hartnäckig, müssen wir die Dinge so nehmen, wie sie kommen. Wenn wir ihn nicht hinters Licht führen können, daß er gleich wieder abzieht, müssen wir die Waffen strecken.«
    Das Gesicht des alten Mannes versteinerte sich vor Gram. Niederlage war ein Wort, das ihm noch nie untergekommen war. Bis jetzt.
    »Ich kleide mich um und schließe mich euch auf den Zinnen an«, schloß Alaine ihre Rede.
    »Das tust du nicht!« Joanna packte Alaine am Arm, als die sich gerade anschickte, die Kemenate zu verlassen, um Sir Oliver zu folgen. »Du bist die Schloßherrin. Dein Platz ist im Saal, nicht auf den Zinnen. Überlasse es Sir Oliver, die Männer anzuführen.«
    »Die Männer werden mir folgen.«
    »Zweifellos würden sie das tun. Nur, willst du, daß unser Feind dich blut- und schweißüberströmt vom Schlachtgetümmel zu Gesicht bekommt, oder hast du etwa vor, dich einem Speer oder einem Pfeil in den Weg zu stellen, um damit unsere letzte Hoffnung zunichte zu machen?«
    »Was soll ich deiner Meinung nach tun? Mich im Saal in Sicherheit begeben, während die Männer ihr Leben für unseren Schutz opfern?«
    »Du ziehst dein kostbarstes Gewand an und wartest mit mir und den Mädchen im Saal, wie es deinem gesellschaftlichen Stand entspricht. Es läßt sich durchaus für die Würde das Wort nehmen, die man angesichts einer Niederlage bewahrt, Alaine.«
    Im stummen Zweikampf starrten sie einander an, Alaine trotzig, Joanna fest entschlossen. Ein Klirren und Poltern auf der Treppe des großen Saales setzte ihrem wortlosem Gefecht ein Ende.
    »Meine Damen! Ich bitte um Vergebung.«
    Garin deutete einen flüchtigen Gruß an und durchschritt dann mit hastigen Schritten den Türbogen. Seine sonst so fröhlichen Augen waren düster umwölkt.
    »Das Wappen auf dem Banner des Feindes ist zu erkennen«, eröffnete er ihnen in finsterem Ton. »Es ist Gilbert de Prestot!«

2
    »Du boshaftes, gelbhaariges Krötengezücht! Die Jahre haben dich wohl schwerfällig gemacht. Laß uns doch mal sehen, wer diesmal die Oberhand behält!«
    Der flachsblonde Riese lachte schallend bei den Worten des Jüngeren, der ihm auf einem freien Gelände zwischen den Zelten gegenüberstand. Im Zuschauerring drängten sich, grinsend über die anmaßenden Worte des Jüngeren, Fußkämpfer, Leibeigene und Ritter. »Du Welpe!« schmetterte der Hüne ihm entgegen. »Möglicherweise gefällt den Damen dein Gesicht nicht mehr, wenn ich es zurechtgerückt habe. Meine letzte Tracht Prügel hat dir wohl nicht gelehrt, dem Stärkeren mit Ehrfurcht zu begegnen?«
    Der junge Mann bleckte die Zähne. Das Licht der Feuerstelle flackerte über seine muskulöse Brust und Arme. Sein breiter Oberkörper triefte vor Schweiß von der ersten Runde ihres Zweikampfs, die eben zu Ende gegangen war. Kurzgeschnittenes schwarzes Haar fiel ihm zackenartig über die feuchte Stirn.
    »Du überlegst es dir noch, Bürschchen?« Die hellgrauen Augen des Riesen funkelten streitlustig. »Willst du dich jetzt schon geschlagen geben?«
    »Du hast mich zum letzten Mal besiegt, du großmächtiger Ochse!«
    Der junge Mann trat einen Schritt nach vorn und wartete lauernd darauf, daß sich sein Gegner mit einem Satz auf ihn stürzen würde. Seine Miene war ein Bild höchster Konzentration, die scharf umrissenen, energischen Gesichtszüge waren streng und unerbittlich. Das Licht der Flammen tanzte über seine edle Gestalt, die ihm die Herzen vieler Damen – die eigentlich hätten klüger sein müssen – im Sturm erobert hatte. Das gespenstische Glimmen des Feuers verlieh ihm beinahe ein übermenschliches Aussehen – sein Knochenbau, die Sehnen und Muskeln umschlossen eine Urkraft, die an Helden einer längst entschwundenen Sagenwelt erinnerte. Aber die Aura bedrohlicher Stärke, die seine Gestalt umgab, schreckte den Hünen mit den hellgrauen Augen und dem strohblondem Haar keineswegs davon ab, sich ihm entgegenzustellen. Ein allgemeines Atemholen der Zuschauern kündigte die zweite Runde des Zweikampfs an. Die beiden Männer rangen miteinander.

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