Die Herrin von Sainte Claire
Gleich zweier Bäume, die auf einer Stelle Wurzeln geschlagen hatten, wichen sie keinen Handbreit. Endlich rutschte die Hand des Riesen auf schweißnaßer Haut ab. Der junge Mann vollzog eine Drehung und bohrte seinen Ellbogen in die Leibesmitte des Hünen. Der athletische Blonde bleckte die Zähne vor Schmerzen, taumelte nach hinten und fiel gleich einem gefällten Baum krachend zu Boden. Kichern und Rufe »Heil! Drache!« waren leise unter den Zuschauern vernehmbar.
»Gibst du endlich auf?« fragte der schwarzhaarige Dämon.
»Aufgeben bei einem Grünschnabel wie dir?« Der Hüne lachte heiser und stemmte sich hoch. Noch ehe er ausgesprochen hatte, holte er blitzschnell zu einem heftigen Fußtritt aus. Er traf seinen Gegner an der Hüfte statt, wie beabsichtigt, in die Lende. Die schiere Kraft des Schlags schlug den Jungen auf den Boden, und er streckte alle Viere von sich. Der Riese nutzte seinen Vorteil und wuchtete seine beachtliche Masse auf den geschmeidigen Körper des Jüngeren. Die beiden Männer verkeilten sich ineinander und rollten auf dem Boden, Erde klebten an ihnen, stellenweise mit Blut verschmiert. Schließlich gelang es beiden mit einem Akrobatenstück gleichzeitig wieder auf die Füße zu springen. Sie trennten sich keuchend und beäugten sich lauernd.
Der Anblick von Blut erregte die Zuschauer. Zurufe wie »Los, Nordmann!« und »Heil, Drache!« schwollen an. Grüne Augen funkelten im Flammenlicht, dabei lachte er seinem älteren, stämmigeren Gegner keck ins Gesicht. Um den Mund des flachsblonden Riesen zuckte es ebenfalls. Er ahnte, was sein Gegner im Sinn hatte. Ein Fuß, mit einem schweren Schuh bekleidet, hieb zielgenau gegen das Knie des Älteren. Trotz seiner wuchtigen Gestalt, wich der Riese behende aus. Er packte den Fuß des Jüngeren und bog ihn mit aller Kraft zur Seite. Ein Schmerzensschrei gellte durch die Luft, der wahrhaftig aus der Kehle eines Dämons entrungen sein mochte, das schwarze Haupt machte peinvoll Bekanntschaft mit dem Boden, Schulter und Hüften folgten. Verdattert und schwindelig, drehte sich der zu Boden geworfene Mann gerade rechtzeitig auf den Rücken, um seinen Gegner bedrohlich ragend über ihn mit hämisch funkelnden Augen zu erblicken. Die Pranke war zu einem vernichtenden Hammer geballt, der den Schädel eines Streitroßes hätte zertrümmern können. Kein Mucks war unter den Zuschauern zu vernehmen, alles hielt in banger Erwartung den Atem an. Da kam die Faust niedergesaust, öffnete sich und versetzte dem Jüngeren einen unsanften, aber kameradschaftlichen Schlag auf die Schulter. Eine fleischige Hand, überwuchert mit hellblondem Haar, packte den Arm des besiegten Herausforderers und zog ihn mit einem Ruck auf die Füße.
»Willst du etwa einem Fuchs beibringen, wie er Hühner töten soll, du hasenherziges Bürschchen?« Sihtric Olafsons breites Lächeln entblößte sein weißes, starkes Wolfsgebiß. »Wer hat dir diesen netten Kniff beigebracht, komm schon, heraus mit der Sprache!«
Rorik Valois hob hochmütig die schwarzen Brauen. »Du warst es, du ekelhaftes Krötengesicht. Doch anscheinend hast du ihn mir nicht richtig beigebracht.«
Sihtric gluckste vergnügt. »Ein paar Kniffe behalte ich mir vor. Man kann den Jungen nicht alle Geheimnisse verraten.«
Rorik schnaubte. »Beim nächsten Mal, mein Alter.«
»Was soll das hier bedeuten?« Ein junger Mann, fast noch ein Knabe, bahnte sich entschlossen einen Weg durch die kräftigen Männer. Er heftete einen grollenden Blick auf die beiden Streithähne. »Haben meine zwei wackersten Helden nichts Besseres zu tun, als ihre Zeit damit zu vertun, sich gegenseitig blutig zu schlagen? Habt ihr die vergangenen zwei Tage nicht schon auf dem Feld von Val-es-Dunes genügend gekämpft?«
Die zwei Männer beugten ehrfurchtsvoll ihr Haupt vor dem Jüngling. »Mein Herzog«, erklärte Rorik mit einem belustigten Glitzern im Auge, »es handelt sich um eine alte Fehde.«
»Jawohl«, fügte Sihtric hinzu. »Und jetzt ist sie beigelegt.«
»Von wegen!« widersprach Rorik grinsend.
»Ihr Bürschchen werdet es wohl nie lernen«, bemerkte Sihtric achselzuckend. »Ich bitte um Verzeihung, mein Herr.« Er zwinkerte dem jungen Herzog William zu. »Aber ich könnte ihn mit einem am Rücken festgebundenen Arm niederringen.«
Aufgebracht starrte William beide Männer an. Stets hatte er beiden gegenüber die Zuneigung eines jüngeren Bruders empfunden. Er war auf ihren Schutz, ihre Gesellschaft, ihre Loyalität und –
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